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Chemie Zum Schweigen gebracht

Weil immer mehr Bakterien gegenüber Antibiotika resistent sind, versuchen Forscherinnen und Forscher im Kampf gegen die Mikroben einen neuen Weg zu gehen: Sie wollen sie nicht mehr abtöten, ­sondern ihre Kommunikation unter­- einander sabotieren

von Dr. Michaela Prothiwa

Bakterien zählen zu den ältesten Bewohnern der Erde – die meisten davon sind für uns harmlos oder lebens­not­wendig. Manche sind aber eben auch gefährlich oder sogar tödlich. Kaum eine Erfindung war daher so bedeutend wie die des Anti­biotikums. Wie viele Leben sich damit retten ließen, lässt sich gar nicht zählen.

Doch so einfach ist der Kampf gegen Bakterien leider nicht, denn die Mikro­organismen wissen sich zu wehren. Sie bilden Resistenzen aus, sodass immer neue Anti­biotika entwickelt werden müssen. Das Ganze gleicht einer Auf­rüstungs­spirale. Die Centers for Disease Control and Prevention – das ist die Gesundheits­behörde der USA – warnen bereits vor einer „kata­strophalen Bedrohung“. Die Entwicklung neuer Wirk­stoffe wird immer komplizierter und teurer, sodass Pharma­unter­nehmen immer weniger darin investieren. Zugleich führt der exzessive Einsatz von Anti­biotika in der Massen­tier­haltung nachweislich zu immer neuen Resistenzen. In Nutz­tieren können sich Superkeime entwickeln, die auch Menschen gefährden.

Als Konsequenz befürchten Expertinnen und Experten weltweit eine „Post-Antibiotika-Ära“, in der wir Infektionen wieder wie im Mittel­alter bekämpfen müssten – ohne Anti­biotika. Ein solches Szenario ist nicht unrealistisch, denn schon jetzt verursachen multi­resistente Keime weltweit pro Jahr rund 700.000 Todesfälle. Die Welt­gesund­heits­organisation (WHO) erwartet bis 2050 sogar einen Anstieg auf jährlich zehn Millionen Tote. Anti­biotika sind im Wettrüsten gegen die Bakterien zu einem stumpfen Schwert geworden.

Michaela Prothiwa im Labor
©Ingo Knopf
Im Labor gelang es Michaela Prothiwa bereits, die Kommunikation eines gefährlichen Krankenhauskeimes zu unterbrechen

Doch seit einiger Zeit verfolgen Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler einen ganz neuen Ansatz. Sie erkennen nämlich zunehmend, dass Bakterien nicht als individuelle Organismen agieren, sondern im Kollektiv. Sie bilden Gemeinschaften, in denen sie mit­einander kommunizieren und ihre Aktionen zu ihrem Vor­teil anpassen. So beruht die krank­machende Wirkung infektiöser Bakterien oftmals auf ihrer komplexen Kooperation unter­einander. Mithilfe von Signal­molekülen fragen sie permanent in die Runde: „Hallo, noch jemand da?“ – Antwort bekommen sie nur von verwandten Bakterien, die jene Moleküle dank spezifischer Rezeptoren auch erkennen. Diese Geheim­sprache ermöglicht es den Ein­zellern, unter dem Radar des Immun­systems zu wachsen, bis sie eine gewisse Anzahl erreicht haben, um schlag­kräftig den Infektions­prozess zu starten.

Auch Pseudomonas aeruginosa bedient sich dieser Strategie. Das Bakterium gehört zu den weltweit gefährlichsten „Kranken­haus­keimen“ und verursacht lebens­bedrohliche Infektionen wie Blut­vergiftungen oder schwere Lungen­entzündungen. Da das Bakterium gegen­über fast allen Anti­biotika resistent ist, stuft die WHO diesen Krank­heits­erreger in einer Prioritäten­liste als „besonders kritisch“ ein und fordert dringend die Entwicklung neuer Wirkstoffe.

Uns war klar, dass wir in diesem permanenten Wettrüsten auf bakteriellem Niveau nicht auf die Entwicklung eines weiteren Antibiotikums setzen wollten. Statt­dessen fragten wir uns, ob wir die oben beschriebene Kommunikation des Erreger­kollektivs stören können. Mithilfe jener Signal­moleküle steuern krank­machende Mikroben nämlich maßgeblich den Verlauf der Infektion und damit auch die Absonderung aller möglichen schädlichen Stoffe. Wir wollten uns also nicht gegen das Bakterium selbst richten, sondern gegen seine krank­machende Wirkung, die sogenannte Virulenz.

Im Gegensatz zu traditionellen Antibiotika, die auf die Vernichtung der Bakterien zielen, ist die Vermehrungs­fähigkeit der Keime durch anti­virulente Hemm­stoffe kaum beeinflusst. Und das hat womöglich einen unschätzbaren Vorteil. Denn mit der Vernichtung steigt auch der Selektions­druck, das heißt: Bakterien, die eine Resistenz entwickelt haben, können sich weiterhin vermehren und dann trotz des Einsatzes von Anti­biotika rasch die Ober­hand gewinnen. Zielt man hingegen nur auf die virulente Wirkung, ist dieser Druck viel kleiner und damit – zumindest theoretisch – auch die Ausbildung von Resistenzen.

Im Nachrichtenverkehr von Pseudomonas aeruginosa spielen „Chinolone“ eine wichtige Rolle. Unsere Idee war daher, den Herstellungs­prozess dieses Signal­moleküls im Erreger zu blockieren. Dies, so unsere Hoffnung, würde eine Funkstille unter den Bakterien zur Folge haben, das Kollektiv wäre aus­einander­gerissen und hätte keine krank­machenden Eigenschaften mehr.

Wir nahmen also ein bestimmtes Protein mit dem Namen PqsD ins Visier, weil dieses für die Chinolon­herstellung notwendig ist. Man kann sich das wie einen Sabotage­akt in einer Fabrik vorstellen, in der eine beschädigte Maschine den gesamten Fertigungs­prozess lahmlegt. Doch die Entwicklung von maß­geschneiderten Blockern wie von jenem, der die Chinolon­herstellung durch PqsD verhindern kann, ist aufwendig. Üblicher­weise werden solche Hemmstoffe der Protein­funktion in zell­freien Systemen entwickelt – jedoch verlieren diese dann in lebenden Zellen oftmals ihre Wirkung. Auf jede wirklich wirksame Substanz kommt so ein Vielfaches an wirkungs­losen Substanzen.

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Wir hatten zudem diese Hürde zu nehmen: Pseudomonas aeruginosa produziert das PqsD-Protein in derart geringen Mengen, dass wir eine womögliche Hemmung des Enzyms überhaupt nicht hätten messen können. Um heraus­zu­finden, ob wir das PqsD-Protein hemmen können, arbeiteten wir zunächst mit harmlosen Bakterien, die wir gen­technisch derart veränderten, dass sie das Protein in großem Stil produzierten. In ihrem Zell­inneren stieg die PqsD-Konzentration derart an, dass wir Veränderungen der Protein­funktion tatsächlich messen konnten. Dazu entwickelten wir eine besondere chemische Sonde – ein molekulares Instrument, das an PqsD binden kann und signalisiert, ob ein ­Hemmstoff das Zielprotein blockiert oder nicht.

An diesen Bakterien testeten wir nun verschiedene Substanzen – und fanden in der Tat einige Wirk­stoffe, mit denen sich die Funktion des PqsD-Proteins hemmen ließ.

Last, but not least probierten wir diese Wirkstoffe nun auch an Pseudomonas aeruginosa aus. Mit Erfolg. Denn nach der Behandlung mit dem PqsD-Hemmer produzierte der gefährliche Kranken­haus­keim tatsächlich keine Chinolone mehr. Die Kommunikation der Bakterien unter­einander war lahmgelegt – und zwar ganz offensichtlich infolge der Hemmung des PqsD-Proteins. Ob unser Wirkstoff wirklich Grundlage für eine Therapie werden kann, die ohne Antibiotika auskommt, ist noch ungewiss. Noch stehen wir am Anfang und verstehen nur einen kleinen Teil der komplexen Kommunikation zwischen den Bakterien. Vor allem wissen wir noch nicht, ob mit dem Ausschalten der Chinolon­produktion nun wirklich auch die Kommunikation im Bakterien­kollektiv so nach­­haltig gestört ist, dass es unschädlich ist.

Bis wir Pseudomonas aeruginosa mit einem solchen Hemmstoff beikommen, werden wir auf Antibiotika also nicht verzichten können. Aber vielleicht können anti­virulente Hemm­stoffe schon bald prophylaktisch oder in Kombination mit Antibiotika eingesetzt werden. Wenn eine größe Auswahl an anti­virulenten Wirk­stoff­kandidaten verfügbar ist, um effektive und sichere Hemmstoffe für die Anwendung im Menschen zu finden, könnten sich die bakteriellen Kommunikations­blocker bald als ganz neue Wirk­stoff­klasse etablieren. Dann hätten wir im Wettrüsten gegen gefährliche Keime einen wichtigen Etappen­sieg errungen.

Zu viel des Guten

Der maßlose Einsatz von Antibiotika ist eine Katastrophe

Antibiotika gehören zweifellos zu den segenreichsten Erfindun­gen in der Medizin. Doch erkranken allein in der Europäischen Union in jedem Jahr rund 670.000 Menschen an bakteriellen Infektionen, gegen die kein Medikament mehr wirkt. Etwa 33.000 Menschen sterben, weil die Bakterien gegen alle Antibiotika resistent sind.

Hauptgrund dafür ist der verschwenderische Umgang mit diesen Medikamenten. Sie werden viel zu leicht­fertig verschrieben, auch bei einfachen Erkältungen, ja, selbst bei viralen Infekten, bei denen Antibiotika natürlich wirkungslos sind. Immer mehr Bakterien überleben den Medikamenten­einsatz und verbreiten sich weiter. So entsteht im Lauf der Zeit ein anti­biotika­resistenter Bakterien­stamm. Aufgrund der hohen Vermehrungs­rate breitet sich auch die Resistenz entsprechend schnell aus.

Besonders gefährlich ist der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast – ein Problem, aus dem immerhin be­reits Konsequenzen gezogen wurden. Verbrauchten die deutschen Vieh- und Geflügel­züchter im Jahr 2011 noch rund 1700 Tonnen Antibiotika, waren es zuletzt nur noch gut 700 Tonnen. Das ist ein Erfolg, aber keine Entwarnung.

Beispiel Geflügelzucht: Weil das Fleisch so billig ist, liegt der Gewinn für ein Schlacht­tier in der konven­tionellen Haltung bei wenigen Cent. Damit sich das Geschäft überhaupt lohnt, müssen Betriebe pro Jahr Millionen Tiere mästen. Diese leben auf engstem Raum und haben ohne den Einsatz von Antibiotika keine Chance, nach einem kaum länger als einen Monat währenden Leben in der Fleisch­theke zu landen.
— JS

Kuhstall
©DedMityay/Alamy Stock
In der Tierhaltung können Antibiotika zur Bildung resistenter Bakterienstämme führen
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