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Neurowissenschaften Wenn Empathie zu Stress wird

Empathie hilft dabei, sich anderen Menschen nahe zu fühlen und kann so vor psychischer Belastung schützen. Aber was passiert, wenn sie selbst zur Belastung wird? Ein Blick auf unser Gehirn gibt Aufschluss darüber

von Dr. Annika Konrad

Ich bin nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch Psycho­therapeutin. Das bedeutet: Einen Teil meiner Arbeits­woche verbringe ich damit, hauptsächlich zuzuhören. In dieser Zeit sitze ich nicht am Computer, analysiere Daten oder manage Projekte. Zu meiner psycho­therapeutischen Arbeit gehört es, empathisch zu sein. Ich fühle mich in die Geschichten von zutiefst menschlichem Leid und manchmal auch Glück ein.

Manchmal bin ich nach so einem Tag ausgelaugt und spüre, dass meine Fähigkeit zur Empathie erschöpft ist. Tatsächlich gibt es den Zustand der „Empathic Distress Fatigue“. Die empathische Belastungs­erschöpfung beschreibt eine Art Müdigkeit oder Stress durch „zu viel“ Empathie.

Wie genau führt Empathie zu Stress? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, Empathie genauer zu verstehen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Begriff Empathie sehr genau definiert. Er meint, dass Menschen sich in andere einfühlen und so deren Gefühle teilen können, wohlwissend, dass das Gefühl von der anderen Person stammt. Üblicherweise wird Empathie als positive und wichtige Eigenschaft für unser soziales Miteinander betrachtet. Sie ermöglicht gegen­seitiges Verständnis, das Knüpfen und die Aufrecht­erhaltung von Freundschaften, elterliche Fürsorge und fördert kooperatives Verhalten. Empathie ist somit eine wichtige Grundlage für menschliche Kommunikation und hängt mit psychischem Wohl­befinden zusammen.

Annika Konrad bei den Vorbereitungen für die Untersuchung von Testpersonen im Magnetresonanztomografen
©Annette Mueck
Annika Konrad bei den Vorbereitungen für die Untersuchung von Testpersonen im Magnetresonanztomografen

Doch Empathie hat manchmal auch negative Folgen für unsere mentale Gesundheit. Emotional mit­zu­schwingen, bedeutet nämlich, sowohl Freude als auch Leid zu teilen. Wenn ich Patient:innen gegen­über­sitze, die Schmerz empfinden, spüre ich selbst bis zu einem gewissen Grad ebenfalls Schmerz. Wir können dieses Phänomen sogar im Gehirn nach­weisen. Wenn wir den Schmerz bei einer anderen Person beobachten, sind bei uns im Gehirn ähnliche Regionen aktiv, die auch bei eigenem Schmerz eine Rolle spielen. Das Gehirn unterscheidet dementsprechend nicht eindeutig zwischen fremdem und eigenem Schmerz.

Negative Gefühle sind Teil menschlichen Erlebens und führen noch nicht zwangs­läufig zu psychischer Belastung. Unter welchen Umständen also hat Empathie längerfristige negative Konsequenzen? Tatsächlich gibt es über den Zusammen­hang von Empathie und psychischer Belastung einige Hypothesen. Eine davon beschreibt einen U-förmigen Zusammen­hang. Das bedeutet, dass sowohl sehr wenig als auch sehr viel Empathie mit höherer Belastung verbunden ist, während ein mittleres Maß an Empathie mit geringer Belastung einhergeht. Diese Hypothese ist bisher nur unzureichend erforscht. So fehlen insbesondere zuverlässige Daten zu den neuronalen Reaktionen im Gehirn auf Empathie. Denn viele Arbeiten beruhen auf Fragebögen von Proband:innen, die ihre Empathie selbst einschätzen. Solche Selbst­einschätzungen können jedoch subjektiv verfärbt sein.

Im Rahmen unserer Arbeit haben wir deshalb zusätzlich Gehirnaktivität gemessen, während Menschen Empathie empfinden. Hierzu zeigten wir über 300 Proband:innen im Magnet­resonanz­tomografen kurze Videos von Personen, die negative oder neu­trale Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Unsere Test­personen sollten sich dabei, so gut wie möglich, einfühlen. Wir analysierten dann, welche Gehirn­­regionen bei negativen Videos stärker aktiv sind als bei neutralen Videos. Nach jedem Video wurden die Proband:innen außer­dem nach ihrer Stimmung gefragt. Eine eher negative Stimmung nach solchen negativen Geschichten deutet dabei auf stärkere Empathie hin.

Die der Empathie zugrunde liegende neuronale Aktivität brachten wir schließlich in Zusammen­hang mit dem berichteten Stress­empfinden während der letzten Wochen. Dabei berücksichtigten wir zusätzlich die individuell unterschiedliche Neigung zum Grübeln. Denn es gibt Hinweise darauf, dass sich Empathie und psychische Belastung nicht unmittelbar bedingen, sondern auch von anderen Faktoren beeinflusst sind. Dazu gehören negative Denk­prozesse wie das Grübeln – also die Tendenz, sich auf (negative) Gedanken zu fokussieren. Die Annahme ist: Wer sich in das Leid anderer einfühlt und sich tendenziell in negativen Gedanken verstrickt, ist anfälliger für psychischen Stress.

Tatsächlich konnten wir in unserer Studie genau diesen U-förmigen Zusammenhang zwischen empa­thie­bezogener Gehirn­aktivität und Stress nach­weisen – aber nur bei Personen, die über­durch­schnittlich viel grübelten. Außerdem zeigte sich der Zusammenhang nur in einem spezifischen Gehirnareal – der Inselrinde. Sie ist ein Teil der Großhirnrinde, der äußeren Schicht des Gehirns, und wird – eben wie eine Insel – von Stirn-, Schläfen- und Scheitel­lappen umgeben. Die Insel­rinde ist eine Gehirn­struktur, die äußere und innere Sinnes­eindrücke integriert, und spielt damit auch bei der Verarbeitung von Empathie eine entscheidende Rolle.

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Anders gesagt: Wenig Inselaktivität (wenig Empathie) plus Grübeln kann bedeuten, dass Menschen sich emotional weniger verbunden fühlen und deshalb mehr Stress empfinden. Sie erleben sich möglicherweise emotional abgekühlt. Diese Inter­pretation bleibt aller­dings spekulativ, denn der Zusammen­hang zwischen geringer Empathie und höherer Belastung lässt sich nicht so einfach in den Frage­bogen­ergebnissen wiederfinden. Eine hohe Insel­aktivität (viel Empathie) plus Grübeln deutet darauf hin, dass Menschen negative Gefühle aufsaugen wie ein Schwamm. Ihnen fällt es womöglich schwer, sich ab­zu­grenzen – was ebenfalls Stress auslösen kann. Zu viel Empathie kann demnach aus­brennen und zu Stress führen. Dieser Zusammen­hang zeigt sich in unseren Daten jedoch nicht bei den Menschen, die generell wenig grübeln. Eine größere Neigung zum Grübeln scheint also das Risiko psychischer Belastung durch Empathie zu erhöhen.

Besonders Personen im Gesundheitswesen, die täglich mit menschlichem Leid konfrontiert sind, könnten von Präventions­maßnahmen gegen „Empa­thic Distress Fatigue“ profitieren. Abgrenzungs­strategien und ein flexibler Umgang mit Empathie könnten helfen, die psychische Gesundheit zu fördern. Auf der anderen Seite könnten Menschen, die sich wenig in andere einfühlen, Empathie und vor allem Mitgefühl gezielt trainieren und so emotionale Nähe herstellen.

Für meine Forschung ist dieses Ergebnis der Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen. Angesichts aktueller globaler Krisen, Umwelt­katastrophen und Kriegen sind wir häufig direkt oder indirekt über Nachrichten und soziale Medien mit menschlichem Leid konfrontiert. Auch hier scheint Empathie eine zentrale Rolle zu spielen. Selbst wenn Personen nicht unmittelbar betroffen sind, können sie dennoch durch das Beobachten von traumatischen Ereignissen psychische Symptome einer post­traumatischen Belastungs­störung entwickeln. In meiner aktuellen Studie untersuche ich deshalb, ob empathische Menschen anfälliger für solche Symptome sind.

Auch für meine psycho­therapeutische Arbeit bleibt das Thema relevant. Um Stress durch Empathie zu verringern, ist es wichtig, dass auch ich die Balance finde zwischen Einfühlen und Abgrenzen. Wenn ich die Praxis verlasse, versuche ich deshalb, nicht über all das Leid nachzugrübeln, sondern fokussiere mich auf meine Freizeit: den Wind im Gesicht, wenn ich mit dem Rad fahre, das Abendessen mit Freund:innen, oder den Roman, der zu Hause auf mich wartet.

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Zwei Seiten einer Medaille

Empathie ist (noch kein) Mitgefühl

Empathie bedeutet, dass wir spüren, wenn ein anderer Mensch Freude, Trauer oder Schmerz empfindet. Wir können uns in seine Lage hinein­versetzen. Doch Empathie hat auch eine Schatten­seite: Wenn wir das Leid anderer zu sehr zu unserem eigenen machen, kann das zu empathischem Stress führen, einer Form von Über­forderung, die Rückzug oder sogar Hilflosigkeit auslöst. In solchen Momenten fühlen wir mit, sind aber nicht immer in der Lage, wirklich zu helfen.

Hier setzt das Mitgefühl an, das über das bloße Mit­erleben hinausgeht. Es verbindet Empathie mit dem Wunsch, aktiv zu helfen. Anstatt uns in der Belastung des anderen zu verlieren, richtet Mitgefühl unsere Energie nach außen. Während Empathie die Tür zu den Gefühlen anderer öffnet, sorgt Mitgefühl dafür, dass wir diese Verbindung konstruktiv nutzen.

Forschende konnten zeigen, dass Empathie und Mitgefühl im Gehirn unter­schiedlich verankert sind. Empathie für das Leid anderer aktiviert demnach unter anderem Regionen, die bei eigenem Schmerz anspringen. Mitgefühl hingegen wirkt eher auf Bereiche, die mit Fürsorge und positiven Emotionen verbunden sind. Dadurch entsteht nicht Erschöpfung, sondern innere Stärke.

Empathie und Mitgefühl lassen sich übrigens bis ins hohe Alter noch erlernen, etwa im Rahmen des „Cognitively-Based Compassion Training“. Dabei schulen Teilnehmende ihre eigene Aufmerksamkeit, üben, sich in die Lage anderer Menschen hinein­zu­versetzen, und bauen positive Gefühle wie Freundlichkeit und Fürsorge auf. Studien ergaben, dass viele Teilnehmende nach rund acht Wochen in der Lage sind, die Gefühle anderer Menschen besser wahr­zu­nehmen. Und das zeigt sich auch im Gehirn, wo die Aktivität in Regionen ansteigt, die mit Belohnungs­verarbeitung verknüpft sind – es spiegelt das gute Gefühl, das mit Fürsorge und sozialem Handeln verknüpft ist. — J. Schüring

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