Chemie Kampf den Superkeimen
Immer mehr Bakterien sind gegen Antibiotika resistent. Die Weiterentwicklung eines Krebsmedikamentes könnte nun zu einem völlig neuen Antibiotikum führen. Auch multiresistente Keime hätten dagegen keine Chance
Antibiotikaresistente Bakterien sind ein gewaltiges Problem – eines, das sich auch in Zukunft noch weiter verschärfen wird. Expertinnen und Experten schätzen, dass weltweit in jedem Jahr 700.000 Menschen den multiresistenten Keimen zum Opfer fallen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten sie im Jahr 2050 bis zu 10 Millionen Opfer fordern. Zu den wichtigsten Ursachen gehört der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der Medizin und in der Tierzucht, wo die Medikamente Bakterien derart unter Stress setzen, dass Resistenz zu einem entscheidenden Überlebensfaktor wird.
Und noch etwas: Die meisten Antibiotika ähneln sich in ihrer Wirkungsweise. Sie eint, dass sie entweder die Zellwand oder den Stoffwechsel der Bakterien angreifen und sie auf diese Weise abtöten. Und sie stammen alle aus dem „goldenen Zeitalter der Antibiotikaentwicklung“ zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren. Die meisten späteren Antibiotika sind lediglich Weiterentwicklungen dieser ersten Wirkstoffe. Ist ein Bakterium einmal gegen eine bestimmte Antibiotikaklasse resistent geworden, mag eine solche Weiterentwicklung zwar kurzzeitig helfen, aber neue Resistenzen bilden sich rasch aus. Angesichts der geringen Zahl unterschiedlicher Antibiotikaklassen ist dann schnell die Multiresistenz erreicht – und Behandlungen schlagen nicht mehr an. Wir brauchen also ein neues Antibiotikum, das anders ist als alle, die es schon gibt.
Nun existieren insbesondere in der Krebstherapie verschiedene Ansätze, Tumorzellen gezielt zu vernichten. Ein Beispiel sind sogenannte Kinaseinhibitoren. Diese Mittel blockieren bestimmte Signalproteine in menschlichen Zellen, die Kinasen, wodurch sich der Tumor nicht mehr teilen kann und abstirbt. Auch Bakterien benötigen diese Kinasen – doch ist der Einsatz solcher Inhibitoren im Kampf gegen bakterielle Infektionen bisher wenig erforscht. Tatsächlich vermochten wir im Experiment das Wachstum des Bakteriums Staphylococcus aureus mithilfe des Krebsmittels Sorafenib deutlich aufzuhalten.
Trotzdem tötet Sorafenib menschliche Zellen viel effektiver als Bakterien – dafür wurde es ja auch entwickelt. Wir nahmen deshalb seine chemische Struktur als Grundlage und optimierten sie derart, dass sich die Substanz gezielt gegen Bakterien richtet. Das Ergebnis war ein Molekül, das wir „PK150“ tauften. PK150 ist als Antibiotikum nicht nur zehnmal so effektiv wie Sorafenib, es wirkt auch gegen alle Formen von multiresistentem Staphylococcus aureus – gemeinhin bekannt als Krankenhauskeim MRSA.
Darüber hinaus wirkt PK150 gegen eine besonders tückische Bakterienform, die „Persister-Zellen“. Das sind Bakterien, die sich in einem Ruhezustand befinden. Man könnte auch sagen, sie halten Winterschlaf: Sie verbrauchen kaum Energie und teilen sich nicht. Das ist deshalb problematisch, weil viele Antibiotika nur wirken, wenn sich die Bakterien teilen. Dementsprechend überleben diese „Persister“ eine herkömmliche Antibiotikatherapie, obwohl sie gegen das Medikament gar nicht resistent sind. Wird die Antibiotikagabe beendet, wachen die Zellen aus ihrem Ruhezustand auf und vermehren sich – es kommt zu einem Rückfall der Infektion. Doch PK150 schaltet auch Persister effektiv aus.
Und noch eine wichtige Eigenschaft kennzeichnet unser Molekül: Resistenzen dagegen bilden sich allenfalls nur sehr schwer aus. Tatsächlich konnten wir bislang keine resistenten Bakterien gegenüber PK150 erzeugen, trotz vieler Versuche, in denen wir die Mutationsrate der Bakterien sogar künstlich beschleunigten.
Wie genau PK150 in den Bakterien wirkt, wussten wir aber nicht. Um dies herauszufinden, verwandelten wir die molekulare Struktur derart, dass PK150 zu einer chemischen Sonde wurde. Damit konnten wir nun spezifisch diejenigen Proteine herausfischen, mit denen PK150 interagiert – so als hätte man eine Angel für Proteine, deren Köder PK150 ist. Bei der massenspektrometrischen Identifizierung der Proteine machten wir eine erstaunliche Entdeckung: Es war keine einzige Kinase dabei!
Stattdessen entdeckten wir zwei Proteine namens MenG und SpsB. MenG produziert in den Bakterien ein Molekül namens Menachinon – oder Vitamin K2. Wir Menschen nehmen es mit der Nahrung auf und benötigen es für die Blutgerinnung. Viele Bakterien, darunter Staphylococcus aureus, müssen es selbst herstellen – ihnen dient es zur Energiegewinnung. PK150 scheint genau diese Menachinon-Produktion zu blockieren, sodass die Bakterien quasi ihre Batterien nicht mehr aufladen können.
Im Fall von SpsB geschieht genau das Gegenteil. PK150 behindert das Protein nicht, sondern überaktiviert es. SpsB ist eine sogenannte Signalpeptidase. Diese fungiert in der Zellmembran als Pförtner, der dafür zuständig ist, bestimmte Proteine aus der Zelle zu schleusen. Diese „Sekretion“ ist für die Bakterien überlebenswichtig. Beispielsweise kontrolliert die Zelle so den Zustand ihrer Zellwand. Und genau hier liegt vermutlich der Grund, warum ein hyperaktives SpsB für das Bakterium fatal ist. Unter jenen Proteinen, die von SpsB ausgeschleust werden, finden sich nämlich auch viele „Autolysine“. Das sind Enzyme, die beim Abbau der Zellwand helfen. Das geschieht zum Beispiel während der Zellteilung, damit aus einer Zelle zwei werden können.
Die Aktivität dieser Autolysine ist normalerweise streng reguliert. Werden jetzt übermäßig viele Autolysine auf einmal aus der Zelle transportiert, gerät diese Regulation aus dem Gleichgewicht und die Autolysine beginnen, wahllos die Zellwand zu zerstören. In der Folge platzen die Zellen, was wir unter dem Elektronenmikroskop beobachten konnten.
Beide Angriffsziele von PK150 – MenG und SpsB – sind bereits für sich genommen neuartig, weil keines der zugelassenen Antibiotika eine vergleichbare Wirkweise hat. Das wäre schon vielversprechend. Die Kombination aus beiden macht PK150 aber noch stärker: Es ist diese doppelte Wirkung, die die Ausbildung von Resistenzen gegen PK150 so schwierig macht. Denn mit einer Resistenz gegen eines der beiden Proteine allein ist es nicht getan, das Bakterium muss sich gleich gegen zwei unabhängige Wirkmechanismen anpassen – und das ist statistisch sehr unwahrscheinlich.
In einem weiteren wichtigen Schritt hin zu einer möglichen Anwendung in der Praxis konnten wir zeigen, dass PK150 Bakterien nicht nur in der Petrischale tötet, sondern auch in dem komplexen Organismus von Mäusen. Dennoch ist der Weg zum Medikament noch weit. Derzeit arbeiten wir daran, die Substanz verträglicher zu machen. Dann könnten klinische Studien folgen, in denen die Sicherheit am Menschen getestet wird. Um diesen Prozess voranzubringen, haben wir inzwischen eine Firma gegründet. Doch bis daraus ein zugelassenes Antibiotikum entsteht, werden wir wohl noch mindestens zehn Jahre warten müssen.
Das Dilemma
Warum sich die Pharmaindustrie kaum noch um neue Antibiotika kümmert
Es scheint absurd: Einerseits breiten sich antibiotikaresistente Keime weltweit aus und könnten in absehbarer Zeit für exponentiell steigende Todeszahlen verantwortlich sein. Andererseits ziehen sich immer mehr Pharmaunternehmen aus der Erforschung neuer Medikamente zurück. Denn gerade wegen der raschen Ausbildung von Resistenzen ist die Lebensspanne von Antibiotika begrenzt, ihre Entwicklung jedoch wird zunehmend teurer. Das Geschäft mit ihnen lohnt sich nicht mehr.
Das Problem bei der Entwicklung neuer Antibiotikaklassen mit neuen Wirkmechanismen ist stets: Die Substanzen müssen sich gegen bakterielle Zellen richten – nicht aber gegen menschliche. Zugleich müssen sie aber auch die richtigen Eigenschaften aufweisen, um vom Körper aufgenommen und in ausreichender Menge zum Infektionsherd transportiert werden zu können.
Es gibt aber auch noch eine andere Herausforderung – und die liegt in den Zulassungsvoraussetzungen. So muss ein Unternehmen in Deutschland immer nachweisen, dass das neue Medikament wirksamer ist als ein bereits existierendes. Das ist im Fall eines neuen Antibiotikums aber gar nicht unbedingt ausschlaggebend. Eine Arznei, wie im Beitrag von Robert Macsics beschrieben, gegen die Mikroorganismen nur sehr schwer Resistenzen ausbilden können, wäre ja selbst bei vergleichbarer Wirksamkeit von ungeheurem Nutzen.
Es muss also etwas geschehen, damit die Warnung der französischen Abgeordneten im Europäischen Parlament, Françoise Grossetête, nicht wahr wird. 2018 sagte sie: „Die Antibiotikaresistenz ist ein Damoklesschwert: Sie könnte unsere Gesundheitsversorgung ins Mittelalter zurückwerfen.“ — JS