cyanobacteria
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Biologie Das Plastikbakterium

Der ideale Biokunststoff wird nachhaltig produziert und ist kompostier­bar. Cyanobakterien könnten ihn herstellen. Auf dem Weg zu seiner industriellen Produktion muss man aber tief in die biotechnologische Trickkiste greifen

von Dr. Moritz Koch

Wir leben im Zeitalter des Plastiks. Unzählige Dinge, die uns tag­täglich umgeben, sind daraus hergestellt. Auch wer nachhaltig einkaufen will, muss feststellen, dass nahezu alle Waren in Plastik verpackt sind. Das Gewissen plagt, doch gibt es kaum Alternativen. Den größten Teil nutzen wir tatsächlich für Verpackungen. Das bedeutet: Mehr als 40 Prozent der weltweit hergestellten Kunststoffe werfen wir gleich nach dem Kauf weg.

Da das Recycling von Kunststoffen oft aufwendig ist, wird der Großteil „thermisch verwertet“, auf gut Deutsch: verbrannt. Und weil Plastik über­wiegend aus Erdöl hergestellt wird, setzt dessen Verbrennung CO2 frei – und befeuert so den Klima­wandel. Verpackungen, die nicht sachgerecht entsorgt werden, gelangen allzu leicht in die Umwelt. Dort dauert es bis zu einige hundert Jahre, bis sie sich zersetzen – sie gefährden unsere Öko­systeme. Besonders bedrückend sind die riesigen Müllinseln im Pazifischen Ozean. Diese wachsen stetig und werden die Folgen unseres Konsum­verhaltens noch weit über unsere Lebens­zeit hinaus bezeugen.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, setzt die Industrie auf sogenanntes Bioplastik. Der Sammel­begriff steht für Kunst­stoffe, die aus nach­wachsenden Rohstoffen hergestellt werden und biologisch abbaubar sind. In der Theorie ist das eine gute Idee, in der Praxis werden diese aber häufig aus Lebens­mitteln wie Mais hergestellt – was aus ethischer Sicht problematisch ist. Darüber hinaus sind derzeit verfügbare Bio­kunst­stoffe häufig nur schlecht und im Wasser oft gar nicht abbaubar. Ein Fall von klassischem „Greenwashing“ also, das Verbraucherinnen und Verbrauchern zwar ein gutes Gewissen vermittelt, aber der Umwelt kaum hilft.

Moritz Koch im Labor
©privat
Im Labor kultiviert Moritz Koch Cyanobakterien, die zu über 80 Prozent aus dem Biokunststoff Polyhydroxybutyrat (PHB) bestehen

Nun kommen kleine, grüne Einzeller ins Spiel: Cyano­­bakterien. Sie können fast aus­schließlich mithilfe von Sonnen­licht und dem Kohlen­dioxid aus der Atmosphäre gedeihen. Sie betreiben also, ähnlich wie Algen, Photo­synthese. Nebenbei produzieren sie auch eine ganz besondere Substanz: Poly­hydroxy­butyrat, kurz PHB. Dieser Stoff lagert sich unter bestimmten Bedingungen in den Einzellern in Form kleiner Kugeln ein. Er hat ähnliche Material­eigenschaften wie Poly­propylen, einem der häufigsten Standard­kunst­stoffe für Verpackungen. Aber im Gegen­satz zu diesem ist er gut biologisch abbaubar. Da die Cyano­bakterien zur Produktion dieses PHB den Kohlenstoff aus dem Treib­haus­gas CO2 nutzen, ist die Herstellung sogar besonders nachhaltig. Die Cyano­bakterien können in Bioreaktoren gezüchtet werden, benötigen somit keine kostbare Nutz­fläche und stehen nicht in Konkurrenz zur Nahrungs­mittel­produktion.

Bedauerlicherweise nehmen die PHB-Kugeln aber nur etwa zehn Prozent der Cyano­bakterienzelle ein, die Herstellungs­kosten sind deshalb hoch. Unsere Arbeits­gruppe an der Universität Tübingen wollte deshalb zunächst den Stoffwechsel der Cyano­bakterien besser verstehen, um ihn anschließend gezielt für die PHB- Produktion zu optimieren. Wir träumten davon, dass wir die Einzeller dazu bringen können, große Mengen Biokunst­stoff herzustellen. Doch an diesem „Plastik­bak­terium“ haben sich bereits viele Forschende versucht – und sind bislang immer gescheitert.

Man kann sich die Stoffwechselprozesse innerhalb einer Zelle wie ein dichtes Straßennetz vorstellen, auf dem der Kohlen­stoff durch die Zelle rauscht. Unterwegs werden die Kohlen­stoff­moleküle von Enzymen immer weiter verändert, sodass aus dem ursprünglichen CO2 am Ende PHB wird. Dabei gibt es Kreuzungen, an denen Moleküle abzweigen können und so zu anderen Produkten werden. Es gibt auch Ampeln, kleine und große Straßen, manchmal auch Sackgassen. Wir wollten wissen, welchen Weg jener Kohlenstoff nimmt, der am Ende im PHB gebunden wird. Könnten wir dieses Geheimnis lüften, wäre es uns vielleicht auch möglich, diesen Weg zu beschleunigen oder zu verkürzen. So könnten wir den Produktions­­prozess gezielt effektiver machen.

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Um zu testen, welche dieser Stoffwechselwege für die PHB-Produktion relevant sind, „blockierten“ wir die verschiedenen Wege einen nach dem anderen, errichteten also gewissermaßen Straßen­sperren in der Zelle. Dazu nutzten wir einen molekular­biologischen Trick: Nach und nach schnitten wir die Gene aus, die für wichtige Enzyme dieser Stoff­wechsel­wege codieren. War ein bestimmter Weg für die PHB-Produktion wichtig, konnte kein Kohlenstoff mehr über diesen Weg gelangen, und die Zelle produzierte weniger PHB. War der Weg hingegen für die PHB-Synthese unwichtig, blieb die produzierte PHB-Menge auch dann unverändert, wenn dieser Weg blockiert war. Auf diese Weise fanden wir heraus, dass der Stoff­wechsel­weg der Glykolyse eine entscheidende Rolle spielt.

Nun konnten wir versuchen, diesen gezielt zu regulieren. Dabei war uns der Zufall behilflich: Wir entdeckten nämlich ein sogenanntes Regulator­protein, das wie eine Ampel eine entscheidende Kreuzung steuert. Ist dieses Protein vorhanden, steht die Ampel auf Rot. Der Kohlen­stoff­transport ist unter­bunden, es kann kein PHB erzeugt werden. Wir schnitten daraufhin das Gen für ebendieses Regulator­protein aus dem genetischen Bauplan der Zelle heraus. Es wurde nun nicht mehr gebildet, und die Ampel sprang auf Grün. So gelang es uns tatsächlich, den gestoppten Kohlenstoff von nun an in Richtung PHB fließen zu lassen.

Doch es gab eine weitere Hürde: Das letzte Stück des Weges zur PHB-Synthese glich eher einem Trampelpfad als einer Autobahn. Hier arbeiteten die Enzyme so langsam, dass nur wenig vom Kohlenstoff in PHB umgewandelt wurde. Was wir wussten: Anders als in unserem Cyano­bakterium läuft dieser Prozess im Einzeller namens Cupriavidus necator viel effizienter. Wir übertrugen daher dessen Gene für die schnellen Enzyme in unser Cyano­bakterium – und bauten auf diese Weise auch das letzte Wegstück zur Schnellstraße aus.

Mit Erfolg. Im Gegensatz zu den natürlich vorkommenden Cyano­bakterien, die ungefähr 10 Prozent PHB einlagern, bestehen unsere neuen Stämme aus über 80 Prozent aus dem Biokunststoff. Das „Plastikbakterium“ ist Realität geworden.

Bislang funktioniert das Ganze freilich nur unter Labor­bedingungen. Deswegen arbeiten wir bereits mithilfe eines Investors an einer industriellen Produktion. Wir würden gern in fünf bis zehn Jahren im großen Maßstab Kunststoffe für den Markt bereit­stellen – um so eine nachhaltige Lösung für die globale Plastik­verschmutzung anzubieten.

Wie Öko kann Plastik sein?

Noch enttäuscht die Nachhaltigkeit sogenannter Biokunststoffe

Weltweit werden jährlich über 400 Millionen Tonnen Kunst­stoffe produziert – rund 40 Prozent davon sind bereits nach einem Monat Abfall. Dieser eine Fakt bringt eines der größten Umwelt­probleme auf den Punkt. Gelangt Kunststoff zerrieben und zerkleinert in die Meere, werden die Mikropartikel von Fischen aufgenommen und gelangen am Ende auch auf unsere Teller.

Deshalb läuft die Entwicklung sogenannter Biokunststoffe auf Hochtouren. Der Begriff steht zum einen für solche Kunst­stoffe, die nicht aus Erdöl, sondern aus pflanzlichen Rohstoffen her­gestellt werden. Zum anderen findet sich die Bezeichnung auf Produkten, die biologisch abbaubar sind. Allerdings: Nur weil Kunst­stoffe aus Zucker­rohr, Mais oder Bambus hergestellt wurden, sind sie nicht grundsätzlich auch biologisch abbaubar. Umgekehrt gibt es erdölbasierte Kunststoffe, die biologisch abbaubar sind.

Überdies beantwortet das Umweltbundesamt die Frage, ob biobasierte Kunststoffe nachhaltiger sind als konventionelle Kunststoffe mit: „Eher nein.“ Denn der Anbau geeigneter Pflanzen in großem Maßstab geht mit zahlreichen anderen Umweltgefährdungen wie Flächenverbrauch und Gewässer­versauerung einher.

Diese Probleme entfielen weitgehend, wenn Cyano­bakterien Biokunststoffe allein aus der Energie der Sonne und dem CO2 aus der Luft produzierten. Karl Forchhammer von der Univer­sität Tübingen, der auch die Doktor­arbeit von Moritz Koch betreute, ist überzeugt, dass Mikro­organismen eines Tages kompostier­bares Bio­plastik produzieren und dabei sogar etwas für den Klimaschutz tun. Auch könnte man die Anlagen auf Flächen bauen, die für nichts anderes zu nutzen sind. — JS

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