25 Jahre Wissenschaftskommunikation Wir müssen reden
In Zeiten des exponentiell wachsenden Erkenntnisgewinns steigt der Bedarf an Austausch zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Eine kluge und vielfältige Wissenschaftskommunikation ist notwendiger denn je
Die gewaltigen Räder und Stangen faszinieren noch immer. Das Birmingham Science Museum zeigt die weltweit bedeutendste Sammlung von Industrietechnik, darunter die älteste noch heute funktionierende Dampfmaschine, konstruiert vor fast 250 Jahren. Solche Technikmonster sowie Kuriositäten aus Natur und Medizin den Menschen zur Schau zu stellen – darin bestand über Jahrhunderte die wichtigste Form von Kommunikation mit der Öffentlichkeit über Wissen und Wissenschaft.
Während die Technik der Dampfmaschine recht überschaubar war, differenzierte sich das gelehrte Wissen rasch aus. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts verstanden Laien die Sprache der „Wissensmacher“ kaum noch. Es kam zur explosiven Vermehrung neuer Erkenntnisse – und zu einer bis heute andauernden Spezialisierung: Wir wissen immer mehr über immer Kleinteiligeres. Doch gerade in der sogenannten Grundlagenforschung geht es oft um Methoden, die, etwa in der Genetik, unbedingt einer gesellschaftlichen Diskussion bedürfen. Eine knifflige Entwicklung, weil die Übertragung fachlich komplexer Zusammenhänge in eine verständliche Sprache immer schwieriger wird.
In Deutschland erkannten die führenden Wissenschaftsorganisationen in den 1990er-Jahren die Dringlichkeit des Problems und starteten 1999 die Initiative PUSH – ein Akronym für Public Understanding of Science and Humanities. So lautete der Titel des Memorandums, mit dem der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit Fahrt aufnehmen sollte. Rund ein Jahr später, vor 20 Jahren, gründeten acht Gesellschafter „Wissenschaft im Dialog“ (WiD) als gemeinnützige GmbH. Der Tag der PUSH-Unterzeichnung gilt heute vielen als Beginn der professionellen Wissenschaftskommunikation in Deutschland.
Erster Vorsitzender des WiD-Lenkungsausschusses war der Physiker Joachim Treusch. Sein Interesse am gesellschaftlichen Dialog hatte er mit einem anderen Physiker gemeinsam, in Sachen Wissenschaftskommunikation war ihm Klaus Tschira (1940–2015) allerdings voraus. Der SAP-Mitbegründer hatte bereits 1995 seine Stiftung gegründet, die zur Pionierin unter all jenen Institutionen werden sollte, die heute Wissenschaftskommunikation fördern. „1997 verliehen wir zum ersten Mal den Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft, den heutigen Klar-Text-Preis“, sagt Beate Spiegel, Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung (KTS). „Klaus Tschira selbst war es von Anbeginn ein dringendes Anliegen, Wissenschaft und Forschung in der Mitte der Gesellschaft zu verankern.“
Zwei Jahre nach der ersten KlarText-Verleihung entstand besagtes PUSH-Memorandum auch aus Sorge um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Zahlen der Studienanfängerinnen und -anfänger in den sogenannten MINT-Fächern sanken Ende der 1990er-Jahre auf ein Rekordtief. Zudem verschärfte sich bereits der Wettbewerb der Institutionen um Aufmerksamkeit und Forschungsmittel, mit der Folge, dass die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen bald deutlich ausgeweitet und professionalisiert wurde. Parallel weiteten sich die Möglichkeiten für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, ihre Forschung Laien selbst zu kommunizieren. Inzwischen stehen ihnen viele Dutzende Formate zur Auswahl, von der Kinderuni bis zum Science Tweetup.
Auch bei den Akteuren kamen neue hinzu, sagt Carsten Könneker, ebenfalls Geschäftsführer der KTS. „Ein weiterer wesentlicher Treiber der Weiterentwicklung von Wissenschaftskommunikation war die Digitalisierung der Medien. Man denke nur an Wissenschaftsblogger oder YouTuber.“ Markus Weißkopf, der Geschäftsführer von WiD, sieht die Stellung der Wissenschaftskommunikation heute daher deutlich verändert: „Sie ist Teil der Wissenschaftskultur und viel präsenter als noch vor einigen Jahren. Damit ist auch die Wissenschaft an sich nahbarer geworden.“
Ein Meilenstein der Entwicklung ist das 2012 von der Klaus Tschira Stiftung gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ins Leben gerufene Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik), das praktische Wissenschaftskommunikation bis heute an mehr als 7000 Personenseminartagen unterrichtete. Das NaWik bereitet Forschende auf gute Dialoge mit fachfremden Zielgruppen vor – egal ob sie sich dabei Social Media, dem klassischen Vortrag oder anschaulicher Grafiken bedienen wollen.
Eine weitere Leuchtturminitiative ist das 2015 von der Klaus Tschira Stiftung und dem Verband der Wissenschaftsjournalisten WPK gegründete Science Media Center Germany. Das SMC unterstützt Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Berichterstattung dann, wenn Wissenschaft Schlagzeilen macht. Mit Expertise von Forschenden und Hintergrundwissen erleichtert es Medienschaffenden die Einordnung und Bewertung der Geschehnisse aus der Wissenschaft. Geleitet wird das SMC von dem Biologen und Journalisten Volker Stollorz: „Für mich gehört zu den großen Errungenschaften der vergangenen Jahre, dass es uns in der Wissenschaftskommunikation gelungen ist, die Begriffe und Rollen der unterschiedlichen Akteure klarer zu definieren. Zumindest ansatzweise entstand so eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis.“
Zu Gründungszeiten der Klaus Tschira Stiftung war der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ noch völlig ungebräuchlich. Wer heute im fachlichen Sinne von ihr spricht, bezieht sich in der Regel auf eine weite Lesart, wie etwa die Definition des an der Universität Zürich lehrenden Kommunikationswissenschaftlers Mike Schäfer. Demnach umfasst Wissenschaftskommunikation „alle Formen von auf wissenschaftliches Wissen oder wissenschaftliche Arbeit fokussierter Kommunikation, sowohl innerhalb als auch außerhalb der institutionalisierten Wissenschaft, inklusive ihrer Produktion, Inhalte, Nutzung und Wirkungen“. Dem Wissenschaftsjournalismus, der im Kern eine Beobachterfunktion der Wissenschaft im Dienste der Allgemeinheit darstellt, kommt dabei eine besondere Rolle zu.
In den letzten zehn Jahren entstand eine Art „Wiss-Komm-Community“, die zur Weiterentwicklung des Gebietes den regelmäßigen Austausch über verschiedene Plattformen sucht. So treffen sich seit 2013 führende Köpfe der Wissenschaftskommunikation im „Siggener Kreis“. Noch deutlich größere Foren bieten das „Forum Wissenschaftskommunikation“ sowie die „Wissenswerte“, ausgerichtet von der WPK. Seit diesem Jahr betreibt auch das NaWik mit der „WissKon“ eine eigene Konferenz für kommunizierende Forschende. NaWik-Geschäftsführerin Beatrice Lugger: „Auf diesen Plattformen zeigt sich, wie sehr es den verschiedenen Akteuren daran gelegen ist, die Wissenschaftskommunikation gemeinsam weiter zu stärken.“
Zu den heiß diskutierten Themen innerhalb der WissKomm-Community gehört der Umgang mit der Digitalisierung und damit, was aus den Veränderungen in der öffentlichen Kommunikation und der massenmedialen Landschaft resultiert. „Die Digitalisierung hat die Ordnung des Systems durcheinandergewirbelt. Uns darauf einzustellen, ist uns bis heute nicht hinreichend gelungen“, meint SMC-Leiter Stollorz. „Jede und jeder kann heute über Wissenschaft sprechen. Dabei steht die Frage im Raum, wie wichtiges und richtiges Wissen das Publikum erreicht.“ Nach Stollorz‘ Auffassung ist die für eine Demokratie so wichtige Gatekeeper-Funktion des Journalismus in Gefahr. Er fürchtet fatale Spiralen der Desinformation.
Informationen über Wissenschaft allein zu vermitteln, also eine Art Wissensmangel zu beheben: Dieses sogenannte „Defizit-Modell“ ist längst überholt. Die Wissenschaftskommunikation zielt heute vermehrt auf den Dialog ab. Es geht um Interaktion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. „Vertrauen in die Wissenschaft entsteht, wenn es gelingt, die Prozesse, Methoden und Werte der Wissenschaft zu vermitteln“, sagt WiD-Leiter Weißkopf. „Das hat die Zielsetzung der Wissenschaftskommunikation verändert.“ Seiner Ansicht nach geht es darum, in der Bevölkerung neben dem Grundverständnis für Wissenschaft eine Art „informiertes Vertrauen“ auszubilden.
NaWik-Direktorin Beatrice Lugger betont, wie viel mehr Möglichkeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern heute zur Verfügung stehen, um direkt in den Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten. Aus Luggers Sicht fehlt es derzeit noch an struktureller Förderung in den Wissenschaftseinrichtungen. Entsprechende Anreizsysteme für kommunizierende Forschende müssten geschaffen werden. „Außerdem muss Kommunikation fester Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung werden“, fordert die studierte Chemikerin und langjährige Wissenschaftsjournalistin.
Schließlich rücken die Erkenntnisse aus der Forschung verstärkt in den Fokus der Politik. „Je politisch relevanter Wissenschaft wird, desto wichtiger ist es für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Mechanismen politischer Kommunikation zu verstehen“, sagt Volker Stollorz. „Das wurde über Jahre hinweg vernachlässigt“.
Wie wichtig gelungene Wissenschaftskommunikation für die Gesellschaft ist, zeigt sich exemplarisch in dieser von der Corona-Pandemie geprägten Zeit. „Wir stehen in vielen gesellschaftlichen Feldern derzeit vor Umbruchsituationen. Unser Ziel muss nun sein, diese Umbrüche aktiv mitzugestalten, wozu Wissenschaftskommunikation einen Beitrag leistet“, meint Markus Weißkopf. „Damit das gelingt, braucht es mutige Entscheiderinnen und Entscheider in Wissenschaft und Politik, mutige Kommunizierende, die sich als Gestalterinnen und Gestalter sehen und die Werte der Wissenschaft hochhalten. Und es braucht Förderer, die nachhaltig investieren.“
Volker Stollorz macht sich ebenfalls dafür stark, mehr auszuprobieren. „Wir müssen die Möglichkeit erhalten, neue Wege zu gehen – was institutionelle Wissenschaftskommunikation allein nicht zu leisten vermag. Für das Gespräch über Wissenschaft in der Gesellschaft braucht es Förderung. In den vergangenen Jahren hat sich hier vor allem die Klaus Tschira Stiftung hervorgetan, die Organisationen wie das SMC, das NaWik und WiD unterstützt und vor allem Mut zeigt, Experimente zu fördern. Davon brauchen wir mehr.“
KTS-Geschäftsführer Carsten Könneker hält es zum Zweck seriöser Wissenschaftsommunikation zudem für unverzichtbar, Wissenschaftskommunikation weiter zu denken: „In der Medienrealität der beginnenden 2020er-Jahre, wie sie sich vor uns abzeichnet, erscheinen Wahrheit und gesichertes Wissen verhandelbar, ja, frei setzbar. Die größte Herausforderung ist folglich, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, welcher durch diese Tendenzen zunehmend unter Druck gerät.“ An dieser wichtigen Stelle könnte sich erweisen, ob die künftige Wissenschaftskommunikation einen positiven Beitrag dazu leisten wird, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu wahren.
Martin C. Roos ist Biochemiker und freier Wissenschaftsjournalist