Chemie Zum Schweigen gebracht
Weil immer mehr Bakterien gegenüber Antibiotika resistent sind, versuchen Forscherinnen und Forscher im Kampf gegen die Mikroben einen neuen Weg zu gehen: Sie wollen sie nicht mehr abtöten, sondern ihre Kommunikation unter- einander sabotieren
Bakterien zählen zu den ältesten Bewohnern der Erde – die meisten davon sind für uns harmlos oder lebensnotwendig. Manche sind aber eben auch gefährlich oder sogar tödlich. Kaum eine Erfindung war daher so bedeutend wie die des Antibiotikums. Wie viele Leben sich damit retten ließen, lässt sich gar nicht zählen.
Doch so einfach ist der Kampf gegen Bakterien leider nicht, denn die Mikroorganismen wissen sich zu wehren. Sie bilden Resistenzen aus, sodass immer neue Antibiotika entwickelt werden müssen. Das Ganze gleicht einer Aufrüstungsspirale. Die Centers for Disease Control and Prevention – das ist die Gesundheitsbehörde der USA – warnen bereits vor einer „katastrophalen Bedrohung“. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe wird immer komplizierter und teurer, sodass Pharmaunternehmen immer weniger darin investieren. Zugleich führt der exzessive Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung nachweislich zu immer neuen Resistenzen. In Nutztieren können sich Superkeime entwickeln, die auch Menschen gefährden.
Als Konsequenz befürchten Expertinnen und Experten weltweit eine „Post-Antibiotika-Ära“, in der wir Infektionen wieder wie im Mittelalter bekämpfen müssten – ohne Antibiotika. Ein solches Szenario ist nicht unrealistisch, denn schon jetzt verursachen multiresistente Keime weltweit pro Jahr rund 700.000 Todesfälle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erwartet bis 2050 sogar einen Anstieg auf jährlich zehn Millionen Tote. Antibiotika sind im Wettrüsten gegen die Bakterien zu einem stumpfen Schwert geworden.
Doch seit einiger Zeit verfolgen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen ganz neuen Ansatz. Sie erkennen nämlich zunehmend, dass Bakterien nicht als individuelle Organismen agieren, sondern im Kollektiv. Sie bilden Gemeinschaften, in denen sie miteinander kommunizieren und ihre Aktionen zu ihrem Vorteil anpassen. So beruht die krankmachende Wirkung infektiöser Bakterien oftmals auf ihrer komplexen Kooperation untereinander. Mithilfe von Signalmolekülen fragen sie permanent in die Runde: „Hallo, noch jemand da?“ – Antwort bekommen sie nur von verwandten Bakterien, die jene Moleküle dank spezifischer Rezeptoren auch erkennen. Diese Geheimsprache ermöglicht es den Einzellern, unter dem Radar des Immunsystems zu wachsen, bis sie eine gewisse Anzahl erreicht haben, um schlagkräftig den Infektionsprozess zu starten.
Auch Pseudomonas aeruginosa bedient sich dieser Strategie. Das Bakterium gehört zu den weltweit gefährlichsten „Krankenhauskeimen“ und verursacht lebensbedrohliche Infektionen wie Blutvergiftungen oder schwere Lungenentzündungen. Da das Bakterium gegenüber fast allen Antibiotika resistent ist, stuft die WHO diesen Krankheitserreger in einer Prioritätenliste als „besonders kritisch“ ein und fordert dringend die Entwicklung neuer Wirkstoffe.
Uns war klar, dass wir in diesem permanenten Wettrüsten auf bakteriellem Niveau nicht auf die Entwicklung eines weiteren Antibiotikums setzen wollten. Stattdessen fragten wir uns, ob wir die oben beschriebene Kommunikation des Erregerkollektivs stören können. Mithilfe jener Signalmoleküle steuern krankmachende Mikroben nämlich maßgeblich den Verlauf der Infektion und damit auch die Absonderung aller möglichen schädlichen Stoffe. Wir wollten uns also nicht gegen das Bakterium selbst richten, sondern gegen seine krankmachende Wirkung, die sogenannte Virulenz.
Im Gegensatz zu traditionellen Antibiotika, die auf die Vernichtung der Bakterien zielen, ist die Vermehrungsfähigkeit der Keime durch antivirulente Hemmstoffe kaum beeinflusst. Und das hat womöglich einen unschätzbaren Vorteil. Denn mit der Vernichtung steigt auch der Selektionsdruck, das heißt: Bakterien, die eine Resistenz entwickelt haben, können sich weiterhin vermehren und dann trotz des Einsatzes von Antibiotika rasch die Oberhand gewinnen. Zielt man hingegen nur auf die virulente Wirkung, ist dieser Druck viel kleiner und damit – zumindest theoretisch – auch die Ausbildung von Resistenzen.
Im Nachrichtenverkehr von Pseudomonas aeruginosa spielen „Chinolone“ eine wichtige Rolle. Unsere Idee war daher, den Herstellungsprozess dieses Signalmoleküls im Erreger zu blockieren. Dies, so unsere Hoffnung, würde eine Funkstille unter den Bakterien zur Folge haben, das Kollektiv wäre auseinandergerissen und hätte keine krankmachenden Eigenschaften mehr.
Wir nahmen also ein bestimmtes Protein mit dem Namen PqsD ins Visier, weil dieses für die Chinolonherstellung notwendig ist. Man kann sich das wie einen Sabotageakt in einer Fabrik vorstellen, in der eine beschädigte Maschine den gesamten Fertigungsprozess lahmlegt. Doch die Entwicklung von maßgeschneiderten Blockern wie von jenem, der die Chinolonherstellung durch PqsD verhindern kann, ist aufwendig. Üblicherweise werden solche Hemmstoffe der Proteinfunktion in zellfreien Systemen entwickelt – jedoch verlieren diese dann in lebenden Zellen oftmals ihre Wirkung. Auf jede wirklich wirksame Substanz kommt so ein Vielfaches an wirkungslosen Substanzen.
Wir hatten zudem diese Hürde zu nehmen: Pseudomonas aeruginosa produziert das PqsD-Protein in derart geringen Mengen, dass wir eine womögliche Hemmung des Enzyms überhaupt nicht hätten messen können. Um herauszufinden, ob wir das PqsD-Protein hemmen können, arbeiteten wir zunächst mit harmlosen Bakterien, die wir gentechnisch derart veränderten, dass sie das Protein in großem Stil produzierten. In ihrem Zellinneren stieg die PqsD-Konzentration derart an, dass wir Veränderungen der Proteinfunktion tatsächlich messen konnten. Dazu entwickelten wir eine besondere chemische Sonde – ein molekulares Instrument, das an PqsD binden kann und signalisiert, ob ein Hemmstoff das Zielprotein blockiert oder nicht.
An diesen Bakterien testeten wir nun verschiedene Substanzen – und fanden in der Tat einige Wirkstoffe, mit denen sich die Funktion des PqsD-Proteins hemmen ließ.
Last, but not least probierten wir diese Wirkstoffe nun auch an Pseudomonas aeruginosa aus. Mit Erfolg. Denn nach der Behandlung mit dem PqsD-Hemmer produzierte der gefährliche Krankenhauskeim tatsächlich keine Chinolone mehr. Die Kommunikation der Bakterien untereinander war lahmgelegt – und zwar ganz offensichtlich infolge der Hemmung des PqsD-Proteins. Ob unser Wirkstoff wirklich Grundlage für eine Therapie werden kann, die ohne Antibiotika auskommt, ist noch ungewiss. Noch stehen wir am Anfang und verstehen nur einen kleinen Teil der komplexen Kommunikation zwischen den Bakterien. Vor allem wissen wir noch nicht, ob mit dem Ausschalten der Chinolonproduktion nun wirklich auch die Kommunikation im Bakterienkollektiv so nachhaltig gestört ist, dass es unschädlich ist.
Bis wir Pseudomonas aeruginosa mit einem solchen Hemmstoff beikommen, werden wir auf Antibiotika also nicht verzichten können. Aber vielleicht können antivirulente Hemmstoffe schon bald prophylaktisch oder in Kombination mit Antibiotika eingesetzt werden. Wenn eine größe Auswahl an antivirulenten Wirkstoffkandidaten verfügbar ist, um effektive und sichere Hemmstoffe für die Anwendung im Menschen zu finden, könnten sich die bakteriellen Kommunikationsblocker bald als ganz neue Wirkstoffklasse etablieren. Dann hätten wir im Wettrüsten gegen gefährliche Keime einen wichtigen Etappensieg errungen.
Zu viel des Guten
Der maßlose Einsatz von Antibiotika ist eine Katastrophe
Antibiotika gehören zweifellos zu den segenreichsten Erfindungen in der Medizin. Doch erkranken allein in der Europäischen Union in jedem Jahr rund 670.000 Menschen an bakteriellen Infektionen, gegen die kein Medikament mehr wirkt. Etwa 33.000 Menschen sterben, weil die Bakterien gegen alle Antibiotika resistent sind.
Hauptgrund dafür ist der verschwenderische Umgang mit diesen Medikamenten. Sie werden viel zu leichtfertig verschrieben, auch bei einfachen Erkältungen, ja, selbst bei viralen Infekten, bei denen Antibiotika natürlich wirkungslos sind. Immer mehr Bakterien überleben den Medikamenteneinsatz und verbreiten sich weiter. So entsteht im Lauf der Zeit ein antibiotikaresistenter Bakterienstamm. Aufgrund der hohen Vermehrungsrate breitet sich auch die Resistenz entsprechend schnell aus.
Besonders gefährlich ist der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast – ein Problem, aus dem immerhin bereits Konsequenzen gezogen wurden. Verbrauchten die deutschen Vieh- und Geflügelzüchter im Jahr 2011 noch rund 1700 Tonnen Antibiotika, waren es zuletzt nur noch gut 700 Tonnen. Das ist ein Erfolg, aber keine Entwarnung.
Beispiel Geflügelzucht: Weil das Fleisch so billig ist, liegt der Gewinn für ein Schlachttier in der konventionellen Haltung bei wenigen Cent. Damit sich das Geschäft überhaupt lohnt, müssen Betriebe pro Jahr Millionen Tiere mästen. Diese leben auf engstem Raum und haben ohne den Einsatz von Antibiotika keine Chance, nach einem kaum länger als einen Monat währenden Leben in der Fleischtheke zu landen.
— JS