Fünf Fragen an Reinhard Hüttl
Klimaschutz, Gentechnik oder Stickoxide sind beispielhafte Themen, bei denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in politische Debatten geraten. Müssen sie talkshowfähig sein?
Nein, nicht mit den derzeitigen Talkshow-Formaten, die eher an Zirkusnummern erinnern als an ernsthafte Debatten. Ich sehe es genau umgekehrt: Talkshows sollten wissenschaftsfähig sein, zumindest, wenn es um entsprechende Themen geht. Ich kann keiner Kollegin und keinem Kollegen empfehlen, sich in diese Arena zu begeben, schon gar nicht zu polarisierenden Themen. Dazu zählen auch Energiewende, Tierversuche oder Kohlendioxidspeicherung im Untergrund (CCS). Ich vermisse ein Forum für sachliche Abwägungen. Dabei kann es durchaus kontrovers zugehen, aber auf der Ebene von Fakten. Hier sehe ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Pflicht, und hier sehe ich Fehlentwicklungen.
Forschende entwerfen seit Jahren recht konkrete Szenarien des Klimawandels. Aber es scheint, als könnten sie weniger bewegen als die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“-Bewegung. Woran kann das liegen?
Das liegt an einem grundsätzlich anderen Selbstverständnis. Forschende sind keine Protestbewegung. Karl Marx sagte, „die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern“. Da spricht ein Aktivist – und eben kein Wissenschaftler. Was den Klimawandel betrifft: Natürlich muss die Wissenschaft vor planetaren Grenzen und den Folgen der Erderwärmung warnen, und natürlich müssen wir Lösungswege aufzeigen, aber ich möchte in keiner Szientokratie leben. Politikerinnen und Politiker müssen auf wissenschaftlich fundierter Basis entscheiden, aber sie müssen auch weitere Faktoren bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Nehmen Sie die Kernenergie: Die Franzosen haben keine anderen wissenschaftlichen Fakten als wir, aber gesellschaftspolitisch eine völlig andere Debatte dazu.
„Öffentlichkeit in eigener Sache“ birgt ja auch die Gefahr, dass aus Wissenschaftskommunikation Wissenschaftsmarketing wird. Was sollten Forschende tun – und was nicht?
Sie sollen als ehrliche Makler auftreten und Grenzen des Wissens benennen. Sie sollen nicht übertreiben, und sie sollen beim Klima nicht den Weltuntergang an die Wand malen. Ja, Emissionen müssen dringend gesenkt werden! Wir werden uns aber auch an den globalen Wandel anpassen müssen, und ich bin sicher, dass wir für beide Strategien – Reduktion und Anpassung – das Know-how haben.
Wie sehen Sie die Rolle der Medien dabei?
Sie sind unverzichtbar bei der Vermittlung von geprüften Fakten. Ohne einen unabhängigen Wissenschaftsjournalismus kann es uns nicht gelingen, glaubwürdig zu sein. Denn es gibt leider immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die aus der Wissenschaft in die Rolle von Aktivisten wechseln oder sich mit einem Thema so gemein machen, dass sie die für Forschende notwendige kritische Distanz verlieren. Das war zum Beispiel beim Waldsterben in den 1980er-Jahren der Fall. Da wurde Deutschland als künftig waldfrei prognostiziert, obwohl viele Daten ein insgesamt deutlich beschleunigtes Waldwachstum nahelegten. Dieser Zusammenhang wurde lange negiert, weil er nicht in den Mainstream passte.
Sollte der „Dialog mit der Öffentlichkeit“ Pflichtfach für alle Studierenden werden?
Nein. Ich bin zwar überzeugt, dass Forschende den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen und dafür ausgebildet werden müssen. Aber längst nicht alle Studierende gehen in die Forschung. Gegenvorschlag: Leitlinien guter Wissenschaftskommunikation sollten in die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis aufgenommen werden.
Reinhard Hüttl ist Forstwissenschaftler und Bodenkundler. Seit 2007 leitet er das Deutsche GeoForschungsZentrum in Potsdam. Er engagiert sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und ist im Förderverein für das Science Media Center Germany aktiv.
Die Fragen stellte Joachim Schüring