Fünf Fragen an Reinhard Hüttl
©David Ausserhofer/Deutsches GeoForschungsZentrum, Potsdam

Fünf Fragen an Reinhard Hüttl

Klimaschutz, Gentechnik oder Stickoxide sind beispiel­hafte Themen, bei denen Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler in politische Debatten geraten. Müssen sie talk­show­fähig sein?
Nein, nicht mit den derzeitigen Talkshow-Formaten, die eher an Zirkus­­nummern erinnern als an ernst­hafte Debatten. Ich sehe es genau umgekehrt: Talk­shows sollten wissen­schafts­fähig sein, zumindest, wenn es um entsprechende Themen geht. Ich kann keiner Kollegin und keinem Kollegen empfehlen, sich in diese Arena zu begeben, schon gar nicht zu polarisierenden Themen. Dazu zählen auch Energie­wende, Tier­versuche oder Kohlen­dioxid­speicherung im Unter­grund (CCS). Ich vermisse ein Forum für sach­liche Abwägungen. Dabei kann es durch­aus kontro­vers zugehen, aber auf der Ebene von Fakten. Hier sehe ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Pflicht, und hier sehe ich Fehl­entwicklungen.

Forschende entwerfen seit Jahren recht konkrete Szenarien des Klima­wandels. Aber es scheint, als könnten sie weniger bewegen als die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“-Bewegung. Woran kann das liegen?
Das liegt an einem grundsätzlich anderen Selbst­verständnis. Forschende sind keine Protest­bewegung. Karl Marx sagte, „die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern“. Da spricht ein Aktivist – und eben kein Wissenschaftler. Was den Klima­wandel betrifft: Natürlich muss die Wissenschaft vor planetaren Grenzen und den Folgen der Erd­erwärmung warnen, und natürlich müssen wir ­Lösungswege aufzeigen, aber ich möchte in keiner Szientokratie leben. Politikerinnen und Politiker müssen auf wissenschaftlich fundierter Basis entscheiden, aber sie müssen auch weitere Faktoren bei ihrer Entscheidungs­findung berück­sichtigen. Nehmen Sie die Kern­energie: Die Franzosen haben keine anderen wissen­schaft­lichen Fakten als wir, aber gesellschafts­politisch eine völlig andere Debatte dazu.

„Öffentlichkeit in eigener Sache“ birgt ja auch die Gefahr, dass aus Wissenschafts­kommunikation Wissenschafts­marketing wird. Was sollten Forschende tun – und was nicht?
Sie sollen als ehrliche Makler auftreten und Grenzen des Wissens benennen. Sie sollen nicht über­treiben, und sie sollen beim Klima nicht den Welt­unter­gang an die Wand malen. Ja, Emissionen müssen dringend gesenkt werden! Wir werden uns aber auch an den globalen Wandel anpassen müssen, und ich bin sicher, dass wir für beide ­Strategien – Reduktion und Anpassung – das Know-how haben.

Wie sehen Sie die Rolle der Medien dabei?
Sie sind unverzichtbar bei der Vermittlung von geprüften Fakten. Ohne einen unabhängigen Wissen­schafts­journalismus kann es uns nicht gelingen, glaub­würdig zu sein. Denn es gibt leider immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die aus der Wissenschaft in die Rolle von Aktivisten wechseln oder sich mit einem Thema so gemein machen, dass sie die für Forschende not­wendige kritische Distanz verlieren. Das war zum Beispiel beim Wald­sterben in den 1980er-Jahren der Fall. Da wurde Deutschland als künftig wald­frei prognostiziert, obwohl viele Daten ein insgesamt deutlich beschleunigtes Wald­wachstum nahe­legten. Dieser Zusammen­hang wurde lange negiert, weil er nicht in den Main­stream passte.

Sollte der „Dialog mit der Öffentlichkeit“ Pflicht­fach für alle Studierenden werden?
Nein. Ich bin zwar überzeugt, dass Forschende den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen und dafür ausgebildet werden müssen. Aber längst nicht alle Studierende gehen in die Forschung. Gegen­vorschlag: Leit­linien guter Wissenschafts­kommunikation sollten in die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis auf­genommen werden.

Reinhard Hüttl ist Forstwissenschaftler und Bodenkundler. Seit 2007 leitet er das Deutsche GeoForschungsZentrum in Potsdam. Er engagiert sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und ist im Förderverein für das Science Media Center Germany aktiv.

Die Fragen stellte Joachim Schüring

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