Wer vor Publikum spricht, muss mehr tun als nur reden
©Getty Images / Thiemi Higashi / EyeEm

Körpersprache Es geht um Begeisterung

Wirklich gute Wissenschaftler sind gut in ihrem Fach und gut darin, die eigene Arbeit anderen Menschen zu erklären. Dazu müssen sie das Publikum emotional erreichen. Nicht nur mit Worten

von Stefan Verra

„Sugarcoating, nichts als sugarcoating!“, rief er mir während eines Vor­trags aus dem Auditorium zu. „Nur die Inhalte zählen. Wer beim Präsentieren auf sein Äußeres angewiesen ist, macht sich wissen­schaftlich verdächtig.“ „Gemach, gemach!“, dachte ich mir, zeigte mit geneigtem Kopf und auf­merksamem Augen­kontakt bei gleich­zeitiger NN-Regel volle Zugewandt­heit. Man will schließlich nicht eskalieren. Dabei saß der junge Doktorand der Universität Basel einem Irrtum auf. Aber der Reihe nach.

Im Lauf der Evolution spielte die Körper­sprache – nicht nur des Menschen – immer schon eine entscheidende Rolle. Beim Ein­schätzen von Freund und Feind war das Erscheinungs­bild, aber vor allem die Art der Bewegung ein Hinweis, wie mit dem Gegen­über zu verfahren war. Also nicht der Säbel­zahn­tiger an sich war gefährlich. Wenn der faul in der Sonne lag, alle Viere von sich gestreckt, krähte kein Stein­zeit­hahn nach ihm. Wenn das Raub­tier aber seine Haltung änderte – starrer Blick, zuckender Schwanz, bereit zum Los­springen –, war der Gazelle klar: Abhauen!

Diese erste Entscheidung fällen auch wir Menschen immer noch in unserem Stamm­hirn. Da unter­scheiden wir uns nicht von den Tieren. Denn was ich hier am Beispiel einer Gefahren­situation beschreibe, gilt für alle grund­legenden Emotionen: Aggression, Angst, Trauer und Freude. Wir erkennen sie an den Bewegungen, also an der Körper­sprache. Und das funktioniert über alle kulturellen Grenzen hinweg.

Folgen wir also der weiteren Entwicklung. Mit Hilfe der evolutionären „Erfindung“ des Mittel­hirns können wir hierarchische Entscheidungen treffen. Das war ein entscheidender Sprung. Hierarchie bedeutet nämlich die Fähig­keit zur Über­beziehungs­weise Unter­ordnung. Und wer dazu in der Lage ist, der kann Rudel bilden. Der Hund zeigt es uns. Er akzeptiert das Herrchen oder Frauchen (weshalb Eidechsen, die kein Mittel­hirn haben und dies nicht tun, unpopuläre Haus­tiere sind).

Die Häne eines Mannes, der einen Vortrag hält
©Jurga Anusauskienė / tedxvilnius

Nun ist Hierarchie nicht nur im Sinne von Macht zu verstehen. Wir ordnen uns auch jenen unter, die uns Hinweise geben, die uns mit Lösungen versorgen. Damit folgen wir einem solchen Menschen bereit­willig. Patienten, die die Kompetenz des Arztes anerkennen, folgen seiner Therapie signifikant zuverlässiger (Michael D. Fetters, University of Michigan, 2011); Politiker, deren Auftritte Kompetenz vermitteln, haben deutlich höhere Zu­stimmungs­raten (Alex Todorov, Princeton University, 2013). Nun werden Sie sagen: „Trump belegt ja wohl die geringe Beweis­kraft solcher Studien.“ Mit­nichten! Mit genau dieser unangepassten Körper­sprache verspricht er seiner Wähler­schaft Lösungs­kompetenz. Für andere ist es eben die stabile, diplomatische Zurück­haltung in der Körper­sprache, die das verspricht. Diese grund­sätzliche Einordnung treffen wir Menschen auf vor­bewusster Ebene – vor allem anhand der Körper­sprache. Anders als Hunde oder Gazellen haben wir im Gehirn den Neocortex, das stammes­geschichtlich jüngste Teil der Groß­hirn­rinde. Er bildet die typische, gefaltete und gewundene Ober­fläche des menschlichen Gehirns. Mit diesen mehr als 20 Milliarden Neuronen denken wir, wägen ab, extrapolieren in die Zukunft – und machen uns bisweilen Sorgen über Dinge, die gar nicht eintreten. Mit diesem Gehirn­teil können wir nicht nur Gedanken formulieren, wir können auch die Worte anderer intellektuell verarbeiten.

Und das, so scheint es, ist für viele Menschen die einzige Ebene jeder Kommunikation. Sie glauben, dass die Worte reichen, um Gefühle wie Kompetenz, Begeisterung und Sympathie auszulösen. Doch das ist falsch. Sie können noch so oft „Ich kenne mich hier aus“ sagen – wenn Sie dabei mit gesenkten Schultern, schlaffen Armen, gebeugten Knien und verzweifeltem Blick gen Boden schauen, wird Ihnen diese Worte niemand abnehmen. Oder würden Sie sich von so einem Arzt gerne operieren lassen? Und wenn Sie mit dieser Körper­haltung zu einer Frau „Ich liebe dich“ sagen, kann es sein, dass Sie bald wieder Single sind.

Wer also seine Inhalte vermitteln will, ist darauf angewiesen, die serielle Schaltung dieser Entscheidungs­prozesse zu beachten. Zuerst müssen wir nahbar wirken. Dann erst ist eine kompetente Wirkung von Vorteil. Und am Schluss muss die Ratio der Zuhörer jene Daten bekommen, die die ersten Ein­drücke bestätigen. Es ist in etwa so, als wenn Sie auf einen Markt gehen und einen Apfel kaufen. Der muss zuerst gut und appetitlich aussehen. Wenn er das nicht tut, werden Sie sich mit seinen „inneren Werten“, also seinem Geschmack, niemals beschäftigen. Und genau so agieren wir in jeder menschlichen Kommunikation und damit auch im wissen­schaftlichen Diskurs.

Manche höre ich jetzt rufen: „Ich nehme gerade die unansehnlichen Äpfel. Die sind die besten. Auch bei Menschen kann ich hinter die Kulisse schauen! Von der Ober­fläche lasse ich mich nicht blenden.“ Mag sein, dass Sie diese Fähig­keit haben. Aber Sie sind damit eine absolute Ausnahme. Selbst wenn Sie es schaffen, alles Äußere auszublenden und nur auf den Inhalt der Worte zu hören, wird die große Mehr­heit des Auditoriums genau so agieren, wie es sich für den Menschen im Laufe der Evolution als effektiv erwiesen hat. Nämlich nach den zuerst verfügbaren Signalen die grund­legendsten Ein­schätzungen zu treffen.

Früher, als die Wissen­schaftler ihre Elfen­bein­türme nicht verließen, blieb man dort unter sich, und es entwickelte sich eine eigene Art der Kommunikation: dozieren hinterm Redner­pult, Lese­brille, Arme hinterm Rücken verschränkt oder in Nach­denk­haltung mit Hand vorm Mund. Der Blick ins Manuskript oder Richtung Boden gerichtet, jeden­falls selten zum Auditorium. Möglicher­weise lag in diesem inaktiven, zurück­genommenen Auftreten der Wunsch nach Rationalität. Doch am Ende war das auch nur eine Emotion. Nämlich das Gefühl von Seriosität.

Die Häne eines Mannes, der einen Vortrag hält
©Jurga Anusauskienė / tedxvilnius

Aber diese Art des frontalen Auftritts vor dem Publikum wird immer seltener. Science Slams, YouTube und TED Talks sind nur die Spitze einer neuen Art der Wissens­vermittlung. In den sozialen Medien folgen mittler­weile Millionen Interessenten denjenigen, die ihr Wissen attraktiv vermitteln. Wer dort genau hin­schaut, wird recht einfach jene Signale erkennen, die die Attraktivität und den Erfolg des jeweiligen Angebots ausmachen.

Erstens: Lächeln Sie! Öfter.

Dabei geht es nicht um gezwungenes Grinsen, ein entspannter, leicht positiver Gesichts­aus­druck reicht. Wenn Sie zusätzlich Blick­kontakt aufbauen, wirken Sie offen und signalisieren gleich­zeitig Souveränität.

Zweitens: Augen, Mund und Hände.

Diese am sensorischen und motorischen Cortex besonders gut abgebildeten Körper­teile (Homunculus) sind die mit am besten verknüpften Körper­teile mit dem Gehirn. Sie geben damit besonders viel Aus­kunft über Emotionen eines Menschen. Sind diese drei Körper­teile sicht­bar, kann man Sie besser einschätzen. In der Folge vertraut man Ihnen eher, als wenn Sie Ihre Augen hinter einer dicken Brille verdecken, die Arme hinter dem Rücken verschränken oder mit einer Hand den Mund verdecken.

Drittens: Seien Sie agil!

Die zwei vielleicht wichtigsten Faktoren sind Frequenz und Amplitude Ihrer Bewegungen. Ein flinkes Heben der Augen­brauen, wenn Sie über das Ergebnis Ihrer Studie berichten. Ein schnelles Zuwenden, wenn eine Frage aus dem Publikum kommt und energetische Schritte zum Flip­chart. Diese hohe Frequenz animiert mehr als Behäbig­keit in den Bewegungen. Achten Sie auch auf Ihren Bewegungs­umfang. Vergrößern Sie Ihre Amplituden und seien Sie ruhig ein klein wenig ausladender mit Ihrer Gestik, Sie vermitteln damit enorm viel Kraft.

Diese drei Tipps werden den Wert Ihrer fachlichen Informationen niemals schmälern. Und gleich­zeitig haben Sie viel getan, um Sympathie und Kompetenz zu zeigen. Damit rollen Sie Ihren Inhalten einen roten Teppich aus, über den Ihre Zuseher bereit­willig schreiten werden.

Stefan Verra ist einer der gefragtesten Experten für Körper­sprache in Europa. Seine Analysen werden regel­mäßig in führenden Medien publiziert. Der Best­seller­autor ist Dozent an mehreren Universitäten und hält Vorträge an Kliniken sowie bei Medizin­kon­gressen.

* Nase-Nabel-Regel: Respekt, Wichtigkeit und Wert­schätzung erkennen wir an der Körper­drehung. Zeigt die gesamte Körper­achse, also die Linie zwischen Nase und Nabel, zu unserem Gesprächs­partner, sind wir voll bei ihm. Das erhöht dessen Auf­merk­samkeit und Auf­nahme­bereit­schaft enorm.

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