Körpersprache Es geht um Begeisterung
Wirklich gute Wissenschaftler sind gut in ihrem Fach und gut darin, die eigene Arbeit anderen Menschen zu erklären. Dazu müssen sie das Publikum emotional erreichen. Nicht nur mit Worten
„Sugarcoating, nichts als sugarcoating!“, rief er mir während eines Vortrags aus dem Auditorium zu. „Nur die Inhalte zählen. Wer beim Präsentieren auf sein Äußeres angewiesen ist, macht sich wissenschaftlich verdächtig.“ „Gemach, gemach!“, dachte ich mir, zeigte mit geneigtem Kopf und aufmerksamem Augenkontakt bei gleichzeitiger NN-Regel volle Zugewandtheit. Man will schließlich nicht eskalieren. Dabei saß der junge Doktorand der Universität Basel einem Irrtum auf. Aber der Reihe nach.
Im Lauf der Evolution spielte die Körpersprache – nicht nur des Menschen – immer schon eine entscheidende Rolle. Beim Einschätzen von Freund und Feind war das Erscheinungsbild, aber vor allem die Art der Bewegung ein Hinweis, wie mit dem Gegenüber zu verfahren war. Also nicht der Säbelzahntiger an sich war gefährlich. Wenn der faul in der Sonne lag, alle Viere von sich gestreckt, krähte kein Steinzeithahn nach ihm. Wenn das Raubtier aber seine Haltung änderte – starrer Blick, zuckender Schwanz, bereit zum Losspringen –, war der Gazelle klar: Abhauen!
Diese erste Entscheidung fällen auch wir Menschen immer noch in unserem Stammhirn. Da unterscheiden wir uns nicht von den Tieren. Denn was ich hier am Beispiel einer Gefahrensituation beschreibe, gilt für alle grundlegenden Emotionen: Aggression, Angst, Trauer und Freude. Wir erkennen sie an den Bewegungen, also an der Körpersprache. Und das funktioniert über alle kulturellen Grenzen hinweg.
Folgen wir also der weiteren Entwicklung. Mit Hilfe der evolutionären „Erfindung“ des Mittelhirns können wir hierarchische Entscheidungen treffen. Das war ein entscheidender Sprung. Hierarchie bedeutet nämlich die Fähigkeit zur Überbeziehungsweise Unterordnung. Und wer dazu in der Lage ist, der kann Rudel bilden. Der Hund zeigt es uns. Er akzeptiert das Herrchen oder Frauchen (weshalb Eidechsen, die kein Mittelhirn haben und dies nicht tun, unpopuläre Haustiere sind).
Nun ist Hierarchie nicht nur im Sinne von Macht zu verstehen. Wir ordnen uns auch jenen unter, die uns Hinweise geben, die uns mit Lösungen versorgen. Damit folgen wir einem solchen Menschen bereitwillig. Patienten, die die Kompetenz des Arztes anerkennen, folgen seiner Therapie signifikant zuverlässiger (Michael D. Fetters, University of Michigan, 2011); Politiker, deren Auftritte Kompetenz vermitteln, haben deutlich höhere Zustimmungsraten (Alex Todorov, Princeton University, 2013). Nun werden Sie sagen: „Trump belegt ja wohl die geringe Beweiskraft solcher Studien.“ Mitnichten! Mit genau dieser unangepassten Körpersprache verspricht er seiner Wählerschaft Lösungskompetenz. Für andere ist es eben die stabile, diplomatische Zurückhaltung in der Körpersprache, die das verspricht. Diese grundsätzliche Einordnung treffen wir Menschen auf vorbewusster Ebene – vor allem anhand der Körpersprache. Anders als Hunde oder Gazellen haben wir im Gehirn den Neocortex, das stammesgeschichtlich jüngste Teil der Großhirnrinde. Er bildet die typische, gefaltete und gewundene Oberfläche des menschlichen Gehirns. Mit diesen mehr als 20 Milliarden Neuronen denken wir, wägen ab, extrapolieren in die Zukunft – und machen uns bisweilen Sorgen über Dinge, die gar nicht eintreten. Mit diesem Gehirnteil können wir nicht nur Gedanken formulieren, wir können auch die Worte anderer intellektuell verarbeiten.
Und das, so scheint es, ist für viele Menschen die einzige Ebene jeder Kommunikation. Sie glauben, dass die Worte reichen, um Gefühle wie Kompetenz, Begeisterung und Sympathie auszulösen. Doch das ist falsch. Sie können noch so oft „Ich kenne mich hier aus“ sagen – wenn Sie dabei mit gesenkten Schultern, schlaffen Armen, gebeugten Knien und verzweifeltem Blick gen Boden schauen, wird Ihnen diese Worte niemand abnehmen. Oder würden Sie sich von so einem Arzt gerne operieren lassen? Und wenn Sie mit dieser Körperhaltung zu einer Frau „Ich liebe dich“ sagen, kann es sein, dass Sie bald wieder Single sind.
Wer also seine Inhalte vermitteln will, ist darauf angewiesen, die serielle Schaltung dieser Entscheidungsprozesse zu beachten. Zuerst müssen wir nahbar wirken. Dann erst ist eine kompetente Wirkung von Vorteil. Und am Schluss muss die Ratio der Zuhörer jene Daten bekommen, die die ersten Eindrücke bestätigen. Es ist in etwa so, als wenn Sie auf einen Markt gehen und einen Apfel kaufen. Der muss zuerst gut und appetitlich aussehen. Wenn er das nicht tut, werden Sie sich mit seinen „inneren Werten“, also seinem Geschmack, niemals beschäftigen. Und genau so agieren wir in jeder menschlichen Kommunikation und damit auch im wissenschaftlichen Diskurs.
Manche höre ich jetzt rufen: „Ich nehme gerade die unansehnlichen Äpfel. Die sind die besten. Auch bei Menschen kann ich hinter die Kulisse schauen! Von der Oberfläche lasse ich mich nicht blenden.“ Mag sein, dass Sie diese Fähigkeit haben. Aber Sie sind damit eine absolute Ausnahme. Selbst wenn Sie es schaffen, alles Äußere auszublenden und nur auf den Inhalt der Worte zu hören, wird die große Mehrheit des Auditoriums genau so agieren, wie es sich für den Menschen im Laufe der Evolution als effektiv erwiesen hat. Nämlich nach den zuerst verfügbaren Signalen die grundlegendsten Einschätzungen zu treffen.
Früher, als die Wissenschaftler ihre Elfenbeintürme nicht verließen, blieb man dort unter sich, und es entwickelte sich eine eigene Art der Kommunikation: dozieren hinterm Rednerpult, Lesebrille, Arme hinterm Rücken verschränkt oder in Nachdenkhaltung mit Hand vorm Mund. Der Blick ins Manuskript oder Richtung Boden gerichtet, jedenfalls selten zum Auditorium. Möglicherweise lag in diesem inaktiven, zurückgenommenen Auftreten der Wunsch nach Rationalität. Doch am Ende war das auch nur eine Emotion. Nämlich das Gefühl von Seriosität.
Aber diese Art des frontalen Auftritts vor dem Publikum wird immer seltener. Science Slams, YouTube und TED Talks sind nur die Spitze einer neuen Art der Wissensvermittlung. In den sozialen Medien folgen mittlerweile Millionen Interessenten denjenigen, die ihr Wissen attraktiv vermitteln. Wer dort genau hinschaut, wird recht einfach jene Signale erkennen, die die Attraktivität und den Erfolg des jeweiligen Angebots ausmachen.
Erstens: Lächeln Sie! Öfter.
Dabei geht es nicht um gezwungenes Grinsen, ein entspannter, leicht positiver Gesichtsausdruck reicht. Wenn Sie zusätzlich Blickkontakt aufbauen, wirken Sie offen und signalisieren gleichzeitig Souveränität.
Zweitens: Augen, Mund und Hände.
Diese am sensorischen und motorischen Cortex besonders gut abgebildeten Körperteile (Homunculus) sind die mit am besten verknüpften Körperteile mit dem Gehirn. Sie geben damit besonders viel Auskunft über Emotionen eines Menschen. Sind diese drei Körperteile sichtbar, kann man Sie besser einschätzen. In der Folge vertraut man Ihnen eher, als wenn Sie Ihre Augen hinter einer dicken Brille verdecken, die Arme hinter dem Rücken verschränken oder mit einer Hand den Mund verdecken.
Drittens: Seien Sie agil!
Die zwei vielleicht wichtigsten Faktoren sind Frequenz und Amplitude Ihrer Bewegungen. Ein flinkes Heben der Augenbrauen, wenn Sie über das Ergebnis Ihrer Studie berichten. Ein schnelles Zuwenden, wenn eine Frage aus dem Publikum kommt und energetische Schritte zum Flipchart. Diese hohe Frequenz animiert mehr als Behäbigkeit in den Bewegungen. Achten Sie auch auf Ihren Bewegungsumfang. Vergrößern Sie Ihre Amplituden und seien Sie ruhig ein klein wenig ausladender mit Ihrer Gestik, Sie vermitteln damit enorm viel Kraft.
Diese drei Tipps werden den Wert Ihrer fachlichen Informationen niemals schmälern. Und gleichzeitig haben Sie viel getan, um Sympathie und Kompetenz zu zeigen. Damit rollen Sie Ihren Inhalten einen roten Teppich aus, über den Ihre Zuseher bereitwillig schreiten werden.
Stefan Verra ist einer der gefragtesten Experten für Körpersprache in Europa. Seine Analysen werden regelmäßig in führenden Medien publiziert. Der Bestsellerautor ist Dozent an mehreren Universitäten und hält Vorträge an Kliniken sowie bei Medizinkongressen.
* Nase-Nabel-Regel: Respekt, Wichtigkeit und Wertschätzung erkennen wir an der Körperdrehung. Zeigt die gesamte Körperachse, also die Linie zwischen Nase und Nabel, zu unserem Gesprächspartner, sind wir voll bei ihm. Das erhöht dessen Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft enorm.