Für Landwirte ist entscheidend, wie hoch der Wassergehalt in der Wurzelzone ist. Doch der kann sich auf kleinstem Raum ändern und ist großflächig nur schwer messbar.
©Getty Images / Rainer Dittrich

Geowissenschaften Von Fluten, Dürren und der Hilfe aus dem All

Ausgerechnet die Feuchtigkeit irdischer Böden stört Astrophysiker bei der Erforschung des Weltalls. Doch aus der Not wurde eine Tugend: Wie Sternexplosionen Bauern bei Trockenheit helfen können

von Dr. Martin Schrön

Immer öfter titeln die Zeitungen „wärmster Monat“ oder „trocken­ster Frühling“ – stets mit dem Zusatz: „seit Beginn der Wetter­auf­zeichnungen“. Der Klima­wandel ist längst spürbar, die Land­wirte leiden darunter ganz besonders. Das gilt für Deutsch­land, aber auch viele andere Regionen der Welt. Häufig ist die Ernte nur zu retten, wenn die Äcker recht­zeitig bewässert werden.

Doch die Bewässerung ist aufwändig und teuer, weshalb sie möglichst effektiv ein­gesetzt werden muss. Kaum jemand liest deshalb die Wetter­berichte so genau wie die Bauern. Doch ob das Wasser aus den Wolken oder dem Sprenger kommt, ist das eine. Das andere ist der Boden selbst, der je nach Tages­form das Wasser unter­schiedlich auf­nimmt, speichert und abfließen lässt. Entscheidend ist also der Wasser­gehalt in der Wurzel­zone. Für einen Acker lässt sich dieser mit her­kömmlichen Punkt­messungen nicht so ohne Weiteres bestimmen oder gar vor­her­sagen. Denn wie feucht ein Boden ist, kann schon inner­halb von wenigen Metern variieren.

Tatsächlich lässt sich groß­flächige Boden­feuchte mit Hilfe von Satelliten­messungen abschätzen, nur dringt die dabei verwendete elektro­magnetische Strahlung kaum eine Hand­breit tief in den Boden ein. Oft befindet sich darunter aber genügend Wasser, um Pflanzen gedeihen zu lassen. Würden Satelliten in diesem Fall Trocken­heit erkennen, wäre eine künstliche Bewässerung dennoch Verschwendung. Die Frage lautet also: Wie kann man zuverlässig den mittleren Wasser­gehalt in der Wurzel­zone einer großen Acker­fläche bestimmen?

Die Antwort steht buchstäblich in den Sternen. Denn wenn masse­reichen Sternen am Ende ihres Lebens der Brenn­stoff ausgeht, explodieren sie und entwickeln sich zu großen Beschleunigern für kleine Teilchen. Diese Protonen und Elektronen der so genannten kosmischen Strahlung verteilen sich im All gleich­mäßig und treffen somit unablässig auch auf die Erd­atmos­phäre. Beim Zusammen­stoß mit Stick­stoff- und Sauer­stoff­atomen entstehen daraus Neutronen. Diese Teilchen haben keine elektrische Ladung und sind – das wird noch von Bedeutung sein – fast genauso „schwer“ wie Protonen.

Die unerlässlich auf unseren Planeten strömende kosmische Strahlung erzeugt in der irdischen Atmosphäre Neutronen.
©Martin Schrön
Die unerlässlich auf unseren Planeten strömende kosmische Strahlung erzeugt in der irdischen Atmosphäre Neutronen. Treffen diese im Boden auf die Atome der festen Bestandteile, werden sie reflektiert und können gezählt werden. Wassermoleküle hingegen absorbieren einen Großteil der Neutronenenergie. Aus dem Verhältnis der auftreffenden und reflektierten Neutronen lässt sich die Bodenfeuchte in der Wurzelzone abschätzen

Weil Neutronen elektrisch neutral sind, werden sie von den voluminösen und geladenen Elektronen­hüllen nicht abgelenkt und fliegen daher fast ungehindert durch alle Atome hindurch. Deshalb können sie auch tief in den Boden eindringen. Gebremst werden Neutronen nur, wenn sie zufällig auf den im Vergleich zur Elektronen­hülle viel kleineren Atom­kern treffen.

Dass das Neutron fast genauso schwer ist wie ein Proton, macht es nun zum Helden für die Umwelt­forschung. Beim Zusammen­stoß des Neutrons mit dem Proton, in diesem Fall dem Atom­kern des Wasser­stoffs, kann es seine Energie nämlich fast komplett auf das Proton über­tragen – und kommt danach selber nur noch ein paar Zenti­meter weit. Das Ganze ähnelt dem Geschehen auf einem Billiard­tisch: Trifft eine Kugel auf eine gleich schwere ruhende Kugel, überträgt die gestoßene ihre Energie weit­gehend auf die getroffene. Die gestoßene wird langsamer, die getroffene rollt davon. Trifft das Neutron hingegen auf größere, deutlich schwerere Teilchen (also die Kerne aller anderen Atome), wird es reflektiert und verliert dabei kaum an Geschwindig­keit.

Neutronen, die auf den Erdboden treffen, stoßen fast nur auf schwere Atome und werden deshalb in die Luft zurück reflektiert. Zählt man diese reflektierten Neutronen, kann man daraus den Wasser­gehalt im Boden ableiten: Dieser ist umso trockener, je mehr Neutronen zurück­gestoßen werden. Und weil Neu­tronen in der Luft viel Platz zum ungestörten Fliegen haben, messen wir mit unseren Detektoren automatisch ein Misch­signal aus einem Umfeld von vielen hundert Metern.

Übrigens war Astrophysikern genau dieser Effekt bisher immer ein Dorn im Auge. Denn ihnen hilft die kosmische Strahlung bei der Erforschung des Welt­alls – und dabei stört die Boden­feuchte mit ihrem Einfluss auf die Neutronen­intensität. Im Jahr 2008 erkannte ein Team um Marek Zreda von der University of Arizona, dass sich aus dieser Not womöglich eine Tugend machen lässt. Dass sich nämlich aus dem Vergleich der eingehenden kosmischen Strahlung mit der reflektierten Neutronen­intensität die Boden­feuchte abschätzen lässt.

Weltweit gibt es mittlerweile hunderte entsprechender Mess­stationen. Gerade in ab­wechslungs­reichem Terrain sind die Daten mitunter jedoch schwierig zu interpretieren.

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Uns ging es daher zunächst darum, die physikalischen Grundlagen der Mess­methode besser zu verstehen. Dafür entwickelten wir zusammen mit Markus Köhli von der Universität Heidelberg ein Computer­modell, das die Physik der Bewegung und Stöße von Neutronen simuliert. Anders als bei bisherigen Studien haben wir dafür die genaue Zusammen­setzung der kosmischen Strahlung berücksichtigt. Dabei zeigte sich, dass der Einfluss­bereich der Neutronen rund um die Mess­stationen herum nur etwa halb so groß ist, wie ursprünglich gedacht. Dieser reicht nicht bis 300 sondern nur bis etwa 150 Meter vom Detektor entfernt und hängt von vielen Umwelt­faktoren ab. Das klingt erst einmal unspektakulär, ist für die Qualität der Messung und damit für die Praxis­tauglich­keit der Methode jedoch entscheidend.

Die Signale aus der unmittelbaren Nähe zur Station beeinflussen darüber hinaus die Messung stärker als die aus größerer Entfernung. Erfolgt eine Messung beispiels­weise von einem Auto aus, verfälschen die Straßen und Wege das Ergebnis, weil sie in der Regel trockener sind als die angrenzenden Äcker. Mit Hilfe von Methoden aus der Teilchen­physik ist es uns gelungen, dieses Phänomen bei der Auswertung zu berücksichtigen und die Karten der Boden­feuchte entsprechend zu korrigieren. Landwirte in Nebraska (USA) nutzen solche Karten bereits für die gezielte Bewässerung ihrer Äcker.

Großflächige Bodenfeuchte­karten eignen sich übrigens auch für die Vor­hersage von Über­schwemmungen. Denn der Wasser­gehalt im Boden lässt Rück­schlüsse auf sein Aufnahme­vermögen zu. Wenn Meteorologen starke Nieder­schläge vorher­sagen, könnten wir im Einzugs­gebiet von Flüssen die Neutronen­intensität messen. Ist der Boden bereits sehr feucht, fließt ein großer Teil des Regens ober­flächlich ab und lässt die Flüsse über ihre Ufer treten.

Um noch größere Flächen schnell zu erkunden und zugleich die oben genannten Störungen im Nah­bereich zu vermeiden, haben wir unseren Sensoren Flügel verliehen. In Kooperation mit Lutz Bannehr von der Hoch­schule Anhalt montierten wir unseren Detektor in einen Gyro­kopter, mit dem wir aus der Luft viele hundert Hektar Land vermessen können. Wir hoffen, dass wir die mit Hilfe der Neutronen gemessene Boden­feuchte auch für die Modellierung groß­räumiger Wasser­kreis­läufe und über­regionaler Wetter­vor­hersagen nutzbar machen können. Dabei geht es um Flächen, die so groß sind wie Länder oder Kontinente. Dazu müssen wir Modell­ergebnisse in aus­gewählten Regionen mit konkreten Messungen abgleichen. Für uns ist die Strahlung explodierter Sterne wirklich von großem Nutzen.

Einst ein blauer Planet

Auf dem Mars gibt es Wasser – entdeckt wurde es mit Hilfe kosmogener Neutronen

Selten schaffen es Nachrichten auf die Titel­seiten, die so viel Begeisterung auslösen wie die vom Wasser auf dem Mars. Damals, im Früh­jahr 2002, war das eine welt­weite Sensation.

Die Raumsonde Mars Odyssey hatte zuvor Daten zur Erde gefunkt, die bewiesen: Die ober­flächen­nahen Boden­schichten unseres Nach­bar­planeten enthalten – vor allem in den Polar­regionen – bis zu 50 Prozent Wasser.

Die Daten stammen von der Neu­tronen­sonde an Bord des Satelliten. Dass diese Messungen aus einer Höhe von über 400 Kilo­metern überhaupt gelingen konnten, liegt an der dünnen Atmos­phäre des Mars. Denn anders als auf der Erde ist sie hier für den größten Teil der kosmischen Strahlung kein Hindernis: Sie kann bis auf die Mars­ober­fläche vor­dringen, wo sie im Boden auf Atome trifft und Neutronen freisetzt.

Je nach Wassergehalt können mehr oder weniger Neutronen entkommen und fliegen nun – wiederum wegen der dünnen und kaum ab­bremsenden Atmos­phäre – weit­gehend ungehindert ins All zurück, wo sie auf die Detektoren der Raumsonde treffen.

Dass es auf dem Mars in der Vergangen­heit Flüsse, Seen und Meere gab, daran hatte auch vor der Mars-Odyssey-Mission kaum jemand gezweifelt. Seit 2002 ist gewiss, wo zumindest ein Teil davon geblieben ist – nämlich in einer Tiefe von rund 30 bis 60 Zenti­metern. Dort zeugt es von einer Zeit, als auch der rote ein blauer Planet war.

Von Joachim Schüring

Die Daten der Neutronensonden an Bord der Mars Odyssey offenbaren, dass der Wassergehalt in den oberen Schichten des Marsbodens bis zu 50 Volumenprozent beträgt (blau).
©NASA / Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio
Die Daten der Neutronensonden an Bord der Mars Odyssey offenbaren, dass der Wassergehalt in den oberen Schichten des Marsbodens bis zu 50 Volumenprozent beträgt (blau).
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